Der steigende Anteil von Energie aus erneuerbaren Ressourcen führt zu volatileren Preisen sowie extremen Preisszenarien an den kurzfristigen Energiehandelsmärkten. Um im kontinuierlich steigenden Wettbewerb mit zunehmenden Handelsvolumina zu bestehen, automatisieren Unternehmen ihre Handelsaktivitäten immer weiter. Wir zeigen Ihnen die wichtigsten Ansatzpunkte und Entwicklungsbereiche für den Übergang zu einem digitalisierten Energiehandel.
Der Energiehandel: Immer schneller, immer volatiler
Der Anteil der Energie aus erneuerbaren Ressourcen an der gesamten Energieversorgung wird in Europa in den nächsten fünf Jahren um weitere 30 Prozent steigen. Prognosen für die zukünftige, witterungsabhängige Einspeisung von Elektrizität aus Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen bestimmen dabei maßgeblich die Preisbildung am Energiehandelsmarkt: Die Preise werden volatiler, extreme Preisszenarien häufiger. Das am Spotmarkt kurz vor dem Lieferzeitpunkt gehandelte Volumen steigt weiter; Käufe und Verkäufe laufen immer schneller ab; große Trading-Organisationen führen bis zu 30.000 Deals am Tag durch.
Aufgrund dieser Entwicklungen können Unternehmen im Energiehandel zukünftig nur dann noch erfolgreich sein, wenn sie ihre Prozesse automatisieren. Schon heute setzt ein Großteil der Handelsorganisationen teil- oder vollautomatisierte Algorithmen ein. Neue Technologien aus Big Data und Data Analytics erschließen zusätzlich großes Potential. Dafür entwickeln die Energiehandelsorganisationen die notwendigen Methoden und führen neue Prozesse ein: Standardprozesse müssen vollautomatisiert und die Organisation zu einer „Energy Trading Factory“ weiterentwickelt werden.
Sechs Bereiche eines Digitalisierungs-Frameworks
Das von Horváth entwickelte Energy-Trading-Digitalisierungs-Framework ist der Rahmen für eine übergeordnete Digitalisierungsstrategie. Es fasst die einzelnen Ansatzpunkte und Entwicklungsbereiche einer Transformation zur Energy Trading Factory zusammen
- Sources: Die traditionellen Systeme für das Energiedaten-Management (EDM) und Energy Trading und Risk Management (ETRM) sowie die Börsenschnittstellen gibt es auch in Zukunft. Um Kosten zu sparen und von Skalierungseffekten zu profitieren, werden diese Systeme dann allerdings in der Cloud betrieben. Neue Prozesse richten sich am Standard der eingesetzten Software aus, sodass teures Customizing entfällt.
- Data: Die Daten der verschiedenen Source-Systeme werden in einem Data Layer zusammengeführt. Dabei erlauben moderne Datenbanktechnologien den schnellen Zugriff auf große Datenmengen. Traditionelle Data-Warehouse-Lösungen werden durch Data Lakes in der Cloud ergänzt bzw. ersetzt. Sie garantieren einen einfachen Aufbau der Infrastruktur und schnellere Skalierung. Bei Schnittstellen, deren Implementierung zu aufwendig wäre, kommt Robotic Process Automation (RPA) als Brückentechnologie zum Einsatz.
- AI Models: Artificial Intelligence bietet neue Möglichkeiten, um große Mengen unstrukturierter und komplexer Daten auszuwerten. Sie erkennt Muster und unterstützt dadurch die Entscheidungsfindung bzw. automatisiert sie komplett. Data-Science- und Machine-Learning-Plattformen ermöglichen auch solchen Nutzern Zugang zu dieser Technologie, die nicht über ausreichend Programmierkenntnisse verfügen. Data Scientists, eine in vielen Unternehmen neu geschaffene Rolle, setzen die komplizierteren Machine-Learning-Methoden zur Analyse ein.
- Applications: Auf der Applikationsebene gibt es Trading Tools sowie Reporting und Analytics Tools. Die Schnittstelle zum kurzfristigen Handel ist schon heute in der Regel mit einfachen Algorithmen automatisiert. Basierend auf den großen Datenmengen und Data-Analytics-Modellen werden zukünftig nicht nur die reine Trading Execution sondern auch das Erzeugen bzw. Anpassen von Trading-Modellen automatisiert. Im Bereich „Reporting und Analytics“ stehen den Mitarbeitern neben standardisierten Reports für das Back Office auch umfassende Business-Intelligence-Funktionalitäten in Echtzeit zur Verfügung. Sie ermöglichen Drill-Down-Datenauswertungen und darüber hinaus Analysen unterschiedlicher Szenarien, z. B. im Bereich Financial Planning.
- IT & Infrastructure: Mit zunehmender Automatisierung und Digitalisierung wird eine funktionierende IT-Infrastruktur immer wichtiger. Ausfallwahrscheinlichkeiten müssen daher bestimmt und notwendige Redundanzen definiert werden. Zudem rückt das Thema Access Management verstärkt in den Fokus.
- Process & Organisation: Digitalisierung und Automatisierung stellen auch neue Anforderungen an Prozesse sowie an das Functional Model der Organisation. Die Automatisierung bisher manuell ausgeführter Aufgaben ermöglicht den Einsatz vorhandener Kapazität für wertschöpfendere Tätigkeiten. Tätigkeitsbereiche verändern sich dabei, fallen weg oder entstehen neu. Die Aufgaben mancher Funktionsträger müssen dementsprechend neu beschrieben werden. Neue Rollen wie die des Data Scientist oder neue Aufgaben im Bereich Business Intelligence entstehen. Auch die Governance-Prozesse sind neu zu justieren: die Verantwortung für die automatisierte Handelssysteme ist Personen zuzuordnen, die Risikostrategien sind anzupassen sowie die Zugriffsrechte und Verantwortlichkeiten für die Daten festzulegen.
Kontakt
Andreas Schwenzer