Automation Insights

Automatisierung von Morgen – Warum die 5G-Technologie auf dem Weg zur vernetzten Fabrik wettbewerbsentscheidend ist

Die fünfte Generation des Mobilfunks ermöglicht neue Automatisierungsanwendungen und somit die nächste Stufe im industriellen Internet der Dinge. Der Weg zur Nutzung für die produzierende Industrie führt über den lokalen Ausbau der Mobilfunkinfrastruktur, sogenannte Campus-Netze. Dabei wird der Einsatz der 5G-Technologie zu einem Wettbewerbsfaktor in Bezug auf die internen Prozesse und das Leistungsangebot.

Einige Grundlagen vorweg: 5G ist ein Standard für mobiles Internet. In Fabriken können über das 5G-Netz Maschinen miteinander verbunden, Daten in zuverlässiger Qualität sicher und beinahe in Echtzeit (hohe Bandbreite, niedrige Latenz) ausgetauscht, hohe Durchsatzraten realisiert sowie der Energiebedarf punktuell gesenkt werden. Außerdem erübrigen sich störanfällige und mobilitätsbeschränkende Verkabelungen. Neben eMBB (enhanced Mobile Broadband), dem „verbesserten 4G“, lassen sich für die produzierende Industrie zwei weitere Anwendungsprofile unterscheiden: URLLC (Ultra-Reliable Low-Latency Communication) ermöglicht eine sehr geringe Latenz und hohe Zuverlässigkeit, zum Beispiel für Industrieautomation und autonomes Fahren. Dagegen ist mMTC (massive Machine Type Communication) durch seinen Schwerpunkt auf eine hohe Gerätedichte und geringen Stromverbrauch das Anwendungsprofil für das Internet der Dinge. 5G ist also nicht einfach nur ein schnelleres Internet, sondern vor allem ein Standard, der industrielle Anwendungen wie mobile Roboter, autonome Logistik, fahrerlose Transportsysteme, Augmented und Virtual Reality, Remote-Sensorik und Maschinenwartung aus der Ferne erst richtig ermöglicht.

Lokaler Ausbau der Mobilfunkinfrastruktur ist unabdingbar

Um 5G-Netze nutzen zu können, wird es mehrere Wege geben. Zum einen über klassische Netzbetreiber. Die Versteigerung der Mobilfunkfrequenzen wurde 2019 abgeschlossen. Beim Ausbau des öffentlichen 5G-Netzes hinkt Deutschland jedoch im internationalen Vergleich hinterher. Zum anderen können Unternehmen private, lokale Netze – sogenannte Campus-Netze – für ihre Fabriken aufbauen. Frequenzen im Bereich zwischen 3,7 bis 3,8 GHz lassen sich für die lokale Nutzung beantragen.

5G-Campus-Netzausbau benötigt verschiedene Akteure in unterschiedlichen Rollen

In diesem Zusammenhang beobachten wir verschiedene Formen der Kooperation, wobei die entsprechenden Akteure gewisse Rollen einnehmen. Ein „Campus-Nutzer“ möchte das Netz verwenden, um von Anwendungsfällen profitieren zu können oder diese aktuell zumindest erproben zu können. Theoretisch kommen alle produzierenden Unternehmen für diese Rolle in Frage. Der „Ausrüster“ stellt die 5G-Hardware für den Netzbetrieb bereit und der „IoT-Befähiger“ ermöglicht die vernetzte Fabrik durch ganzheitliche Automatisierungslösungen und konkrete Anwendungsfälle. Ergänzt oder teilweise auch supplementiert wird dessen Angebot durch „Hersteller 5G-fähiger Produkte“ (Systeme, Produkte und/oder Komponenten). IT-Integratoren können ggfs. „IT-Dienstleistungen“ bereitstellen. Ob 5G dann vom „Campus-Nutzer“ selbst oder von einem „Netzbetreiber“ betrieben wird, wird von dem individuellen Anspruchsniveau an Qualität und Sicherheit sowie unternehmensspezifischen finanziellen Bedingungen und Anforderungen abhängig sein.

Die deutsche Wirtschaft probt

Einige deutsche Kooperationen wurden bereits pressewirksam kommuniziert. Die Deutsche Telekom („Netzbetreiber“) baut ein 5G-Campus-Netzwerk beim Verfahrenstechniker Endress+Hauser sowie beim Lichttechnikhersteller Osram (beide „Campus-Nutzer“) auf. Für diese Kooperation ist ebenso bekannt, dass Ericsson („Ausrüster“) die Systemtechnik bereitstellt. Das schwedische Unternehmen ist zudem an einem Forschungsprojekt zur Mensch-Roboter-Interaktion in Echtzeit durch 5G mit Audi („Campus-Nutzer“) und SICK („Hersteller 5G-fähiger Produkte“) beteiligt. Außerdem installieren Siemens („IoT-Befähiger“) und Qualcomm („Ausrüster“) ihr erstes privates Standalone-5G-Netz im industriellen Umfeld. 

Anwendungsfälle versprechen großes Potenzial – sowohl für Nutzer als auch für Anbieter

Fast jede Woche werden neue Anwendungsfälle publiziert und mit hohem Marketingaufwand präsentiert. Beispiele sind etwa:

  • In der mit 5G ausgestatteten Fertigungshalle des E-Autoherstellers e.GO tauschen Transportfahrzeuge, Maschinen und Werkzeuge Informationen wie den aktuellen Standort, Anlieferung von Produktionsstoffen, den Batteriezustand oder die Fahrtroute aus.
  • Die Transportunternehmen DB Schenker und Enride haben den ersten vollelektrischen, autonomen LKW („T-Pod“) entwickelt, der mit Hilfe der 5G-Technologie autonom von und zu einem Lagerhaus fährt.
  • Endress+Hauser kooperiert mit der Deutschen Telekom, um die Entwicklung gemeinsamer Angebote im Bereich Mess- und Automatisierungstechnik für die Prozessindustrie voranzutreiben.
  • ctrlx AUTOMATION von Bosch Rexroth ist auf 5G ausgerichtet und ermöglicht es, eine Vielzahl von Geräten zu verbinden.

Die Anwendungsfälle und laufenden Kooperationen namhafter Akteure zeigen zum einen, dass 5G eine branchen- und rollenübergreifende Zusammenarbeit verschiedener Akteure notwendig macht. Zum anderen unterstreichen die Bemühungen die Bedeutung für den Produktionsstandort Deutschland und insbesondere für die Automatisierungsindustrie. Dies bringt mich zu der folgenden strategischen Hypothese.

Für Unternehmen der Automatisierungsindustrie wird 5G zum Wettbewerbsfaktor, sowohl in der eigenen vernetzten Fertigung als auch im Angebot von Automatisierungslösungen.

Die strategische Hypothese

Für Unternehmen der Automatisierungs- und Antriebstechnik bieten sich zwei riesige Chancen, die zukünftig zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor werden:

  • Der Einsatz von 5G in der eigenen Fertigung und dadurch vielfältige Effizienzsteigerungspotenziale
  • Das Angebot von Produkten und Automatisierungslösungen, die durch 5G befähigt sind und das ganze Potenzial von Industrie 4.0 bei ihren Kunden freisetzen können

Produzierende Unternehmen müssen sich fragen, welches konkrete Ziel sie mit der Technologie erreichen möchten, denn es wird ein Spannungsdreieck bei der Nutzung zwischen Reichweite, Durchsatz und Stromverbrauch geben. Letztlich ist der Einsatz der Technologie vom Geschäftsmodell abhängig. Sollen interne Produktions- und Logistikprozesse realisiert oder den Kunden Leistungen angeboten werden, die bei niedriger Latenz hohe Datenmengen verarbeiten müssen, oder schlicht keine andere Kommunikationstechnologie effizienter sein, dann wird 5G benötigt. Es muss jedoch erwähnt werden, dass noch Zeit vergehen wird, bis wirklich produktionskritische Vorgänge umfassend von 5G abhängig sein werden.

Unternehmen der Automatisierungs- und Antriebstechnik sollten den Einsatz der Technologie mit einer strategischen Brille prüfen…

Die folgenden drei strategischen Prüffragen können Ihnen dabei helfen den INSIGHT für das eigene Unternehmen einzuordnen:

  • Steigert sich die Leistungsfähigkeit, der Differenzierungsgrad Ihres Produktportfolios oder die Kundenanforderungen, wenn große Datenmengen übertragen, geringe Latenzzeiten genutzt, hoher Durchsatz ermöglicht und viele Geräte verbunden werden können?
  • Sehen Sie Effizienzpotenzial durch industrielle Anwendungen wie mobile Roboter, autonome Logistik und Transport, Augmented Reality, Remote-Sensorik und -Maschinenwartung?
  • Werden die durch 5G entstehenden Möglichkeiten Ihr Geschäftsmodell und -umfeld verändern oder gar bedrohen?

… und Handlungen ableiten

Je nach Zustimmung oder Ablehnung der strategischen Prüffragen ergeben sich Handlungsempfehlungen für das Leistungsangebot und die eigene Fertigung.

OBSERVE – Sollten Sie die strategischen Prüffragen weitestgehend mit „Nein“ beantwortet haben, dann trifft auch die strategische Hypothese für ihr Branchenumfeld nicht zu. Von entspanntem Zurücklehnen würde ich trotzdem abraten. Beobachten Sie aktiv bereits identifizierte Anwendungsfälle in der Fachpresse oder auf Messen und Kongressen. Prüfen Sie außerdem in regelmäßigen Abständen kritisch, ob sich die Anforderungen Ihrer Kunden an vernetzte Produkte und den Automatisierungsgrad verändern.

ACT – Stimmen Sie der strategischen Hypothese grundsätzlich zu, empfinden jedoch die Formulierung als etwas zu drastisch? Dann hatten Sie wohl auch gemischte Gefühle bei der Beantwortung der Prüffragen. Es empfiehlt sich, relevante Anwendungsfälle in der Produktion und Kundenanforderungen an 5G-fähige Produkte zu identifizieren, um Klarheit zu schaffen. Beteiligen Sie sich, nach Prüfung Ihrer Rolle, an Campus-Netz-Kooperationen, um den Anschluss nicht zu verpassen und bereits jetzt zu lernen. Der Wettbewerb tut das auch.

RUN – Sie stimmen allen gestellten Prüffragen klar und ohne Zögern zu? Dann sollte Ihr Unternehmen eher früher als später beginnen, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Suchen Sie Kooperationspartner für den Aufbau eines Campus-Netzes und testen Sie dort konkrete Anwendungsfälle.

Aktuell kommen immer mehr Unternehmen aus der Automatisierungsbranche, aber auch aus dem Automotive-Umfeld und der Telekommunikation auf uns zu. Sie alle möchten das Thema diskutieren und stellen Fragen: Ist 5G ein Thema für uns? Falls ja, mit wem müssen wir kooperieren? Welche Akteure sind beteiligt und welche Rolle spielen sie? Welche Anwendungsfälle gibt es? Wie sehen mögliche Geschäfts- und Erlösmodelle aus? Ob Sie meiner Hypothese zustimmen oder nicht, ich bin überzeugt, dass die 5G-Technologie einen großen Umbruch für die Branche bedeutet und uns in den nächsten Jahren noch intensiv begleiten wird. Sprechen Sie uns an!
 

Kittelberger, D. / Zirkelbach, T. (Co-Autor)