Automation Insights

„Hope for the best, prepare for the worst“: Wie Sie Ihr Unternehmen strategisch auf künftige Rohstoffknappheit und Lieferengpässe vorbereiten

Unternehmen der Automatisierungsindustrie finden sich aktuell in einem hoch volatilen Marktumfeld wieder. Die Auswirkungen der Null-Covid-Strategie Chinas auf die internationalen Lieferketten und der Krieg in der Ukraine stellen die Branche wie auch die gesamte Wirtschaft vor völlig neue, sich schnell wandelnde Herausforderungen. Neben explodierenden Energiepreisen trübt auch die Knappheit vieler essenzieller Rohstoffe die Stimmung in den Vorstandsetagen. Hierbei handelt es sich aller Voraussicht nach nicht um ein kurzfristiges Problem. Auch in Zukunft zeichnet sich eine persistente Knappheit ab, da die Nachfrage weiterhin auf eine begrenzte Verfügbarkeit treffen wird. Neue Krisen werden diese Dynamik beschleunigen. Eine gut durchdachte strategische Antwort auf dieses Phänomen ist daher unabdingbar.

Lieferketten sind derzeit stark beansprucht. Gleichzeitig führt Chinas Null-Covid-Toleranzpolitik neben den bestehenden Krisen zu einer Art „künstlichen Verknappung“ von Gütern aller Art. Das betrifft auch Logistikgüter und damit zusammenhängende Leistungen, was Probleme in wichtigen Handelsdrehkreuzen zur Folge hat. Während beispielsweise die Nachfrage nach Frachtcontainern weiter steigt, wird in Gebieten mit Quarantäne nicht gearbeitet, weshalb diese gar nicht erst produziert oder transportiert werden können. Daraus resultieren starke Preisanstiege. So kostete die Verschiffung eines 40-Fuß-Containers von Asien nach Europa Anfang 2020 im Schnitt rund 2.000 US-Dollar. Zwischendurch kletterten die Preise im Jahr 2021 auf bis zu 20.000 US-Dollar, bevor sie aktuell wieder auf ungefähr 12.000 US-Dollar gesunken sind.

Hohe Unsicherheiten belasten Unternehmen

Auch für die Zukunft ist keine Besserung in Sicht: Bei neuen Ausbrüchen werden ganze chinesische Regionen immer wieder in komplette Lockdowns versetzt, was die Lieferketten in diesen Gebieten völlig zum Erliegen bringt. Logistikunternehmen können diese Gegebenheiten nur schwer vorhersehen.

Auch der Krieg in der Ukraine führt zu Unsicherheiten und Schwierigkeiten auf bestimmten Handelsrouten. Ein viel beachtetes Beispiel ist die Luftfracht, bei der es zu massiven Einschränkungen durch Sanktionen und Luftraumsperrungen kommt.

Langfristige Knappheit von Kupfer bringt neue Herausforderungen

Bei Primärrohstoffen, die zurzeit weniger im Fokus stehen, könnte es in Zukunft ebenfalls zu starken Preiserhöhungen und Lieferschwierigkeiten kommen. Sehr wichtig für die Automatisierungsbranche ist beispielsweise Kupfer. Der Rohstoff zeichnet sich durch eine hohe Stromleitfähigkeit aus, ist belastbar und flexibel. Diese Eigenschafen qualifizieren Kupfer besonders für die Verwendung in Elektroleitungen, die zum Beispiel in Schaltschränken eingesetzt werden. Die Kosten für Kupfer sind in der Vergangenheit immer wieder stark gestiegen. Von im Schnitt 5.500 Euro pro Tonne im Jahr 2019 verdoppelte sich der Preis 2022 fast – auf zwischenzeitlich bis zu 9.700 Euro. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen stieg die Nachfrage in den letzten Jahren stark, was bis vor der Pandemie mit der wachsenden Weltwirtschaft zusammenhing. Auf der anderen Seite steigt aktuell vor allem die Nachfrage aus der Elektroindustrie, welche eine der Hauptabnehmer ist.

Die Erde verfügt jedoch nur über eine begrenzte Menge an Kupfer. Je nach Schätzungen könnten diese Reserven schon um das Jahr 2050 aufgebraucht sein. Zudem ist das Vorkommen weltweit ungleich verteilt. Chile verfügt über die größten Reserven und deckt ungefähr ein Viertel der weltweiten Produktion. Gleichzeitig zeigt sich der Markt für Kupferproduktion als Oligopol. Knapp ein Drittel des weltweit geförderten Kupfers kommt von gerade einmal fünf Unternehmen, was die Preisbildung zusätzlich verengt.

Analysten gehen zum Teil von einer Verdopplung der Nachfrage bis 2040 aus, was die Preissteigerung weiter befeuern könnte. Aufstrebende Volkswirtschaften brauchen den Rohstoff, um zivile und industrielle Infrastruktur auf- und auszubauen. Insbesondere bevölkerungsreiche Länder haben hier einen Nachholbedarf, der die Lage am Markt nochmals zuspitzen wird.

Die Zukunft von Kupfer als kritischer Rohstoff

Zugleich spielt Kupfer auch eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel und die notwendige Energiewende. Um die Energieerzeugung unabhängig von fossilem Brennstoff zu machen, müssen zum Beispiel neue Windkraftparks oder dazugehörige Stromtrassen gebaut werden. Auch diese Anlagen benötigen Kupfer als Rohstoff, was die Nachfrage zukünftig weiter steigen lassen wird. Zudem wird für die Produktion von Elektrofahrzeugen bis zu dreimal mehr Kupfer gebraucht als für Verbrennerfahrzeuge. Da für die Elektromobilität ein großes Wachstum prognostiziert wird, kann dieser Faktor das Versorgungsproblem zusätzlich verschärfen.

Insgesamt wird Kupfer aufgrund der Marktentwicklung zu einer noch kritischeren Ressource werden. Förderländer könnten den Rohstoff als politisches Druckmittel verwenden – oder die eigene Wirtschaft bei einer drohenden Knappheit durch Exportverbote bevorzugen. Unternehmen der Automatisierungsbranche müssen sich langfristig deshalb auch diesem Problem widmen.

Steigende Gaspreise verschärfen die Lage

Auch Sekundärrohstoffe werden zu kritischen Faktoren im Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. So sind zum Beispiel innerhalb des Produktportfolios eines typischen Automatisierungsunternehmens zahlreiche Komponenten aus Metall gefertigt. Zur Gewinnung von Reinmetall ist ein hoher Energieaufwand nötig, wofür Gas der Hauptenergieträger ist. Zudem wird Gas an weiteren Stellen in der Produktion gebraucht, beispielsweise bei der besonders energieintensiven Herstellung von Glas und Keramik. Darüber hinaus braucht die Automatisierungsbranche Gas auch klassischerweise, um zum Beispiel Räume und Hallen zu heizen. Die Anwendungsfelder sind damit sehr vielfältig und betreffen zahlreiche Komponenten.

Hohes Preisniveau bleibt bestehen – weitere Risiken drohen

Aufgrund des Krieges in der Ukraine führt diese Abhängigkeit zu massiven Problemen für Automatisierungsunternehmen. Seit Kriegsbeginn hat sich der Gaspreis ungefähr verdoppelt. Für Privathaushalte stiegen die Kosten von im Schnitt 6,5 Cent auf bis zu 14 Cent pro Kilowattstunde.

Laut aktueller Einschätzung droht mindestens ein konstant hoch bleibendes Preisniveau für mehrere Jahre. Nicht auszuschließen ist eine weitere Steigerung des Preisniveaus – oder im schlimmsten Fall ein Lieferstopp. In diesem Szenario wird das Gas anhand von unterschiedlichen Kriterien rationiert. Unternehmen der Automatisierungsbranche würden hierbei meistens als nicht systemrelevant betrachtet werden, weshalb eine Reduzierung oder sogar Streichung aller Gaslieferungen droht. Diese Ausgangslage führt uns zu folgender strategischen Hypothese:

Ohne beherztes Handeln im Bereich Rohstoffsicherheit drohen Automatisierungsunternehmen herbe Wettbewerbsnachteile. Ein Management ohne Rohstoffstrategie ist in der heutigen Zeit nicht mehr tragbar.

Die strategische Hypothese

Wie Sie Ihr Unternehmen auf kurz- und langfristige Rohstoffengpässe vorbereiten können

Wir sehen folgende Möglichkeiten, wie Sie sich strategisch auf die drohende Verknappung vorbereiten können. Hierfür verbleiben wir bei den genannten Beispielen Gas und Kupfer, um Musterlösungen sowohl für kurz- als auch langfristige Gegenstrategien geben zu können. Vor der Erarbeitung von Lösungen sollten Sie aber analysieren, wie stark Sie von bestimmten Ressourcen abhängig sind. Dies können Sie anhand einiger Fragen eruieren:

  • Wo wird der Rohstoff derzeit in meinem Unternehmen verwendet?
  • Welche Aktivitäten benötigen den Rohstoff?
  • In welchen Mengen wird der Rohstoff verarbeitet?
  • Wie kritisch ist der Rohstoff für die Produktion?
  • Wie hoch ist die Wertschöpfung der betroffenen Komponenten?
  • Wie sieht das Lieferantenportfolio in meinem Unternehmen aus?
  • Wie transparent ist die Lieferkette?
  • Wie ist die wirtschaftliche Lage unserer Lieferanten und haben sich unsere Partner auf mögliche Engpässe ausreichend vorbereitet?

Nach Beantwortung dieser Fragen ermöglicht eine umfassende Analyse verschiedene abgestufte Lösungswege:

  • Interne Verbesserung der Beschaffung

Der Einkauf spielt eine zentrale Rolle bei der Bewältigung von Lieferengpässen. Hierbei haben Sie verschiedene Hebel, um sich auch intern auf Herausforderungen vorzubereiten. Eine Möglichkeit ist der Aufbau von Lagerbeständen. Bauen Sie sich einen Sicherheitspuffer gerade bei kritischen Rohstoffen auf, um kurzfristige Engpässe zu überwinden. Zwar bindet dies Working Capital, die Kosten können aber durch die Risikominimierung durchaus gerechtfertigt sein. Zudem kann auch Hedging bei Unternehmen ab einer bestimmten Größe Sinn machen. Sichern Sie sich frühzeitig mithilfe von Finanzinstrumenten gegen unvorhersehbare Preisentwicklungen ab. Darüber hinaus sollten gewisse Redundanzen als Puffer in den Lieferketten aufgebaut werden. Streuen Sie Ihr Risiko, um beim Ausfall eines Lieferanten nicht in Schwierigkeiten zu gelangen. Letztendlich kann auch die Implementierung eines datenbasierten und intelligenten Prognosemodells Sinn machen. Mithilfe einer solchen Software können Sie Ihre Analyse deutlich genauer gestalten.
 

  • Standortverlagerung & Outsourcing

Auch eine Auslagerung von Teilen der Produktion kann bei Rohstoffknappheit Sinn machen. So ist Gas in Ländern mit einer anderen Energiepolitik nicht so knapp wie in Deutschland. Kanada hat zum Beispiel große Gasvorkommen und ist im Moment dabei, ein Freihandelsabkommen mit der EU auszuhandeln. Es macht deshalb unter Umständen Sinn, Komponenten, die für einen hohen Gasverbrauch verantwortlich sind, bei kanadischen Zulieferern einzukaufen oder vor Ort eine eigene Produktion aufzubauen. Ebenso gilt Vietnam als „das neue China“, wenn es um Standortverlagerungen in Asien geht, die einem möglichst die gleichen Vorteile verschaffen sollen wie die Produktion in der chinesischen Volksrepublik.  Mithilfe einer cleveren Beschaffungsstrategie können Sie das Risiko breit streuen und bei einem drohendem Gaslieferstopp intervenieren. Hierfür sollten Sie schon früh beginnen, langfristige Partnerschaften aufzubauen und kleinere Aufträge an Partnerfirmen abzugeben. Schließen Sie sich auch gerne mit regionalen Konkurrenten beim Einkauf zusammen, um Lösungen zu finden. Gemeinsam können Sie günstigere Preise erzielen.
 

  • Circular Economy

Für Rohstoffe wie Kupfer wird die Wiederverwendung von verarbeitetem Material in Zukunft eine große Rolle spielen. Kupfer kann, genauso wie andere Rohstoffe, vollständig recycelt werden. Es besteht also die Möglichkeit, ein geschlossenes Ökosystem aufzubauen. Im Zuge der Auslieferung von Automatisierungsanlagen könnte der Hersteller alte Maschinen mitnehmen, um aus ihnen Wertstoffe für die Produktion zu gewinnen. Der Kreativität sind hierbei keine Grenzen gesetzt. So könnten sich Hersteller die Rücknahme der Altgeräte nach einer bestimmten Laufzeit vertraglich sichern und sich so von der drohenden Rohstoffknappheit befreien.
 

  • Umbau der Energieversorgung

Neben der Wiederverwendung von Ressourcen können Unternehmen auch auf andere Möglichkeiten der Energieversorgung zurückgreifen. Hierbei kann die volle Bandbreite des grünen Energieportfolios verwendet werden. Schon einfache Maßnahmen wie die Installation von Solarpanels sind hierbei ein wirksamer erster Schritt in die richtige Richtung. Darüber hinaus können Unternehmen auch größere Änderungen planen, beispielsweise die Verwendung von Biogas oder den Bau eines eigenen Ökostromkraftwerks.
 

  • Restrukturierung des Produktportfolios

Unternehmen müssen sich rund um die Thematik des Rohstoffmangels auch Gedanken machen, bis wann sich die Produktion einzelner Produktlinien ökonomisch noch lohnt. Mithilfe einer umfassenden Sensitivitätsanalyse sollte sich das Management ein genaues Bild der Rohstoffperspektive machen. Wenn Gas zum Beispiel rationiert wird, sollten Produkte mit hohen Margen, soweit sinnvoll, Vorrang haben.
 

  • Verschwendungsanalyse

Eine weitere Lösung ist die Reduktion der verwendeten Rohstoffmenge. So können Sie unter Umständen Prozesse verbessern, um weniger Ressourcen zu verbrauchen. Dabei sind erste Einsparungen häufig einfach zu erzielen. Zu Beginn können zum Beispiel ineffiziente Maschinen abgestellt und die Leistung der restlichen Maschinen sinnvoll gedrosselt werden. Auch in den Prozessen liegt viel Potenzial. Die Sicherheitsmargen können häufig reduziert werden. Kupferleitungen könnten beispielsweise dünner gebaut werden, wenn sich die technischen Eigenschaften dadurch nicht verändern. Darüber hinaus kann durch eine bessere Einstellung von Maschinen auch der Ausschuss gemindert werden. Zudem kann sich die Investition in neue Maschinen lohnen. So geht das Umweltbundesamt davon aus, dass allein die Verwendung von energieeffizienten Pumpen in der Industrie jährlich rund fünf Milliarden Kilowattstunden Energie einsparen könnte.

Wir empfehlen Automatisierungsunternehmen folgende Maßnahmen:

  1. Verbrauchsanalyse: Als Unternehmen sollten Sie sich jetzt die Frage stellen, von welchen Rohstoffen und in welchem Umfang Sie abhängig sind. Finden Sie heraus, welche Mengen Sie verbrauchen und wo Engpässe kritisch für die Produktion sein könnten.
  2. Szenarioanalyse: Anhand einer Szenarioanalyse können Sie dann verschiedene Ausgangsmöglichkeiten und ihre Folgen strategisch betrachten. Priorisieren Sie die wichtigsten Rohstoffe und überlegen Sie, was in der Zukunft passieren könnte.
  3. Maßnahmenkatalog: Erstellen Sie einen Maßnahmenkatalog, um Ressourcen für Ihr Unternehmen einzusparen. Überlegen Sie sich kreative Alternativen zu den gängigen Beschaffungsmethoden und verhindern Sie so einen Produktionsstopp.

Es gilt jetzt die richtigen Entscheidungen zu treffen

Lieferengpässe und die Knappheit von Ressourcen werden uns voraussichtlich noch lange Zeit begleiten. Unternehmen der Automatisierungsbranche haben gleichzeitig nur einen sehr begrenzten Einfluss auf den Ausgang der Situation. Nichtdestotrotz können Sie sich auf die drohenden Herausforderungen mithilfe von vorrauschauender strategischer Planung vorbereiten. Treffen Sie jetzt die richtigen Entscheidungen, ohne gleichzeitig die Hoffnung auf bessere Zeiten zu verlieren – gemäß dem Sprichwort „Hope for the best, prepare for the worst“.

Erdödy, S. / Hannig, M. / Kittelberger, D.