Prof. Dr. Werner Gleißner ist Gründer und Vorstand der FutureValue Group AG und Honorarprofessor für Betriebswirtschaft mit Fokus auf Risikomanagement an der Technischen Universität Dresden. In diesen Funktionen befasst er sich mit den Themen Risikomanagement, Rating und Strategieentwicklung sowie der Weiterentwicklung von Methoden der Risikoaggregation und der wertorientierten Unternehmenssteuerung. Prof. Dr. Gleißner ist zudem Autor zahlreicher Fachbücher und Artikel zum quantitativen Risikomanagement.
Im Interview mit Horváth & Partners erläutert er, welche Rolle das Risikomanagement, insbesondere in Zeiten der Unsicherheit, für Unternehmen spielt. Er spricht über das Erfordernis der systematischen Quantifizierung von Risiken sowie der Einbindung von Risikomanagement in den Entscheidungsprozess des Unternehmens.
Die Covid-19-Pandemie traf die Weltwirtschaft im Jahr 2020 unerwartet und mit teilweise schweren Auswirkungen für viele Unternehmen. Wie können diese sich gegen unvorhersehbare Krisen schützen und welche Rolle spielt das Risikomanagement dabei?
Gleißner / Die Ursache von Krisen sind Risiken, die sich realisieren. Wir können zwar kaum vorhersagen, welche konkrete Art von Krise in den Jahren 2021 oder 2022 eintreten wird. Aber wir wissen sehr gut, auf welche Arten von Krisen man sich vorbereiten sollte, weil man bei einer guten Analyse die hier relevanten Risiken sehr gut einschätzen kann. So ist beispielsweise die Covid-19-Pandemie keinesfalls ein unvorhersehbarer „Black Swan“, weil in der Risikoforschung seit langem auf die gravierende Bedrohung durch das „Pandemie-Risiko“ hingewiesen wurde.
Die Aufgabe des Risikomanagements ist klar: Durch eine systematische Risikoanalyse müssen die relevanten Risiken, die einzeln oder in Kombination zu Krisen führen können, erfasst werden. Dabei sind volkswirtschaftliche Risiken und sogenannte Extremrisiken, zu denen auch Pandemien gehören, zu beachten. Aufbauend auf der Risikoanalyse gilt es den Herausforderungen, dass die Zukunft nie sicher vorhersehbar ist, zu begegnen. Neben der Initiierung spezifischer Risikobewältigungsmaßnahmen sind zwei Aspekte von großer Bedeutung: Man sollte eine „robuste“ Strategie entwickeln und Risikodeckungspotenzial, Eigenkapital- und Liquiditätsausstattung am Risikoumfang ausrichten. Eigenkapital und Liquiditätsbedarf werden mittels Risikoaggregation bestimmt. Ein solches strategisch orientiertes Risikomanagement ist ein System für das strategische Management der Unsicherheit.
Wie muss das Risikomanagement ausgestaltet sein, um möglichst effektiv und wertstiftend für ein Unternehmen zu sein?
Gleißner / Traditionelle Aufgabe des Risikomanagements ist die Früherkennung möglicher „bestandsgefährdender Entwicklungen“ (§91 AktG), die mittelständische GmbHs erfüllen müssen, was der Gesetzgeber mit dem StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz) Ende 2020 nochmals betont hat. Um bestandsgefährdende Entwicklungen zu erkennen, müssen die wesentlichen Risiken eines Unternehmens systematisch identifiziert, quantifiziert und mittels Monte-Carlo-Simulation aggregiert werden. Die Risikoaggregation ist notwendig, weil sich bestandsgefährdende Entwicklungen meist aus Kombinationseffekten von Risiken ergeben.
Ein effektives und unbürokratisches Risikomanagement sollte diese Aufgaben, sowie die Risikoüberwachung, möglichst weitgehend in schon vorhandenen Managementsystemen abdecken. Spürbaren Nutzen erreicht ein Risikomanagement nur dann, wenn es bei der Vorbereitung „unternehmerischer Entscheidungen“ mitwirkt. Alle Managemententscheidungen haben unsichere Auswirkungen. Die aus der sogenannten Business Judgement Rule (§93 AktG) abgeleitete Aufgabe des Risikomanagements ist es entsprechend durch eine Risikoanalyse schon vor der Entscheidung nachvollziehbar und dokumentiert zu zeigen, wie sich der Umfang an Chancen und Gefahren (Risiken) infolge einer Entscheidung verändern würde. Risikomanagement trägt damit zur besseren Fundierung unternehmerischer Entscheidungen bei, die wiederum für den nachhaltigen Erfolg des Unternehmens von zentraler Bedeutung sind.
Wie kann das Risikomanagement zielgerichtet und systematisch in den Entscheidungsprozess des Unternehmens eingebunden werden?
Gleißner / Ein solches „entscheidungsorientiertes Risikomanagement“, wie es z.B. der neue DIIR RS Nr. 2 Standard fordert, sollte eng mit dem Controlling zusammenarbeiten, welches im Allgemeinen zuständig für die Erstellung von Entscheidungsvorlagen für Geschäftsführer oder Vorstände ist. Man benötigt also ein Regelwerk, das festhält, wie „unternehmerische Entscheidung“ getroffen werden. Dieses Regelwerk definiert, welche Inhalte in einer Entscheidungsvorlage dokumentiert werden müssen und wie im Zusammenspiel von Controlling und Risikomanagement Entscheidungsvorlagen erstellt werden, die die mit jeder Handlungsoption verbundenen Chancen und Gefahren (Risiken) nachvollziehbar quantifiziert aufzeigen. In einem kleinen Handbuch zur „Vorbereitung von unternehmerischen Entscheidungen“ wird dann geregelt, dass das Risikomanagement rechtzeitig in die Entscheidungsvorbereitung einbezogen wird.
Welchen Mehrwert bietet ein entscheidungsorientiertes Risikomanagement für Unternehmen?
Gleißner / Letztlich wird erreicht, dass die Entscheidungen von Vorständen und Geschäftsführern besser fundiert vorbereitet werden. Unternehmertum ist immer mit Risiken verbunden. Man kann und soll nicht alle Risiken vermeiden. Notwendig ist aber Transparenz über den Umfang von Risiken, der sich durch die unsicheren Auswirkungen von Entscheidungen und den zugehörigen Maßnahmen ergibt. Es geht also darum, die Wirkungen auf Ertrag und Risiko vor der Entscheidung gegeneinander abzuwägen. Dies hilft Krisen zu vermeiden und das Rendite-Risiko-Profil eines Unternehmens, und damit den Unternehmenswert, zu verbessern. Empirische Studien zeigen klar, dass Unternehmen, die bessere Rendite-Risiko-Profile erreichen, erfolgreicher sind.
Zum Schluss noch ein Ausblick: Digitalisierung und Big Data werden immer relevanter. Wie sieht Ihrer Meinung nach das Risikomanagement in einer digitalisierten Zukunft aus?
Gleißner / Die Digitalisierung verändert einerseits das Chancen- und Gefahrenprofil von Unternehmen, was insbesondere durch die strategische Risikoanalyse zu betrachten ist. Die technischen Möglichkeiten durch die Digitalisierung im weitesten Sinne unterstützen dabei, Aufgaben des Risikomanagements effizienter zu erbringen. Neben Möglichkeiten z.B. einer effizienteren Datenerfassung und
-verarbeitung im Allgemeinen zeigt sich vor allem, dass früher noch recht aufwändige Aufgaben, wie die simulationsbasierte Aggregation von Risiken mit Bezug auf die Unternehmensplanung, heute mit einer Vielzahl von Softwaresystemen ganz einfach und schnell umgesetzt werden können. Bei allen Vorteilen der Digitalisierung sollte aber eines nicht vergessen werden: Es ist wichtiger, das Risikomanagement intelligent weiterzuentwickeln, als ein oft noch wenig nutzenstiftendes Risikomanagement, das z.B. Risiken einfach als Produkt von Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit in Risikoreports aufbereitet, einfach zu „digitalisieren“. Es geht darum, die Fähigkeit eines Unternehmens im Umgang mit Unsicherheit, Chancen und Gefahren systematisch zu verbessern.
Vielen Dank für das aufschlussreiche Interview, Herr Prof. Dr. Gleißner!
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Dennis Müllerschön