Interview

„Sustainability und Controlling“ - Péter Horváth im Gespräch mit Claudia Maron

Der Trend zu Nachhaltigkeit verändert Unternehmen grundlegend. Péter Horváth und Claudia Maron diskutieren im Interview mit der Zeitschrift „Controlling-Berater“, welche Herausforderungen und Chancen sich dabei für das Controlling ergeben.

DER CONTROLLING-BERATER: Herr Professor Horváth, die Auffassung, dass Controllerinnen und Controller mit Nachhaltigkeit doch etwas zu tun haben, teilten Sie bereits frühzeitig. Vor inzwischen 10 Jahren gaben Sie uns schon einmal ein Interview zu Nachhaltigkeit und Green Controlling, ein Thema, das Sie für die Ideen-Werkstatt des ICV angestoßen hatten. Gerade für die Controller war das damals noch ein recht neuer Bereich und dementsprechend war verschiedentlich eine gewisse Zurückhaltung wahrzunehmen. Wie würden Sie das heute einschätzen? Welche Bedeutung hat Nachhaltigkeit im Controlling in der betrieblichen Praxis heute erlangt?

Péter Horváth: Nachhaltigkeit – im umfassenden Sinne – gehört heute zum Controller-Alltag. Nachhaltigkeit hat zunehmend an Bedeutung gewonnen und unsere gesamte Gesellschaft hat die existentielle Bedeutung der Nachhaltigkeit mittlerweile erkannt. Damit geht einher, dass auch die Stakeholder von Organisationen heute aktiv Nachhaltigkeit einfordern. Allein finanziell profitabel zu sein, reicht heute nicht mehr aus. Damit hat es sich von einem etwaigen Randthema hin zu einem integralen Bestandteil des unternehmerischen Zielsystems entwickelt. Will der Controller seine Rolle als „Business Partner“ erfüllen, so hat er dieser Entwicklung Rechnung zu tragen.

 

DER CONTROLLING-BERATER: Nachhaltigkeit ist ja ein recht breit gefasstes Themengebiet, das neben der ökologischen Perspektive auch soziale und ökonomische Aspekte adressiert. Durch die aktuelle Klimadiskussion scheint in der Praxis häufig eine Verengung auf die Ökologie vorzuherrschen. Inwieweit ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Péter Horváth: Eine Einengung auf die Ökologie - insbesondere auf die CO2-Thematik - greift in der Tat zu kurz. Unternehmen müssen vielmehr ein ganzheitliches Nachhaltigkeitsverständnis im Sinne der Begrifflichkeit „ESG“ verfolgen. Dieses umfasst neben weiteren ökologischen Aspekten wie z.B. Wasser, Abfall, Biodiversität auch die Bereiche Soziales und Governance. Unternehmen müssen ihre Auswirkungen und Abhängigkeiten auf das natürliche und soziale Kapital identifizieren und berücksichtigen sowie ein Minimum an negativen Auswirkungen sicherstellen, um wirklich nachhaltig zu sein.

Claudia Maron: Ausgelöst durch Umwelt- und Klimadiskussionen hat sich das englische Wort „green“ als Markenname für nachhaltige Aktivitäten etabliert. Das kann suggerieren, dass Umweltschutz und ökologische Themen den alleinigen Fokus bilden. Nachhaltiges Wirtschaften umfasst jedoch mehr. Eine verantwortungsbewusste Unternehmensführung wird immer soziale und ökonomische Aspekte miteinbeziehen.

DER CONTROLLING-BERATER: Besteht in der Nachhaltigkeit eine Chance für unseren Berufsstand? Sehen Sie hier Parallelen zum Megatrend Digitalisierung?

Péter Horváth: Die Integration der Nachhaltigkeit in das System des Controllings ist in der Tat eine Chance – sogar ein Muss! Jede Organisation hat der Nachhaltigkeit Rechnung zu tragen. Effektivität und Effizienz kann dabei ohne das Controlling nicht erreicht werden. Ähnlich wie beim Megatrend Digitalisierung handelt es sich bei der Nachhaltigkeitstransformation um eine cross-funktionale Herausforderung, die eine Zusammenarbeit über verschiedene Unternehmensbereiche erfordert. Auch hier besteht die Gefahr, dass das Controlling sich zu lange passiv an die Seitlinie stellt. Es ist höchste Zeit, dass das Controlling sich stärker in eine gestalterische Rolle bringt und eine aktive Leadership-Rolle übernimmt.

Claudia Maron: Die nachhaltige und digitale CFO- und Controlling-Agenda: beide Themen sind zukunftsweisend. Sie stehen für die Neuausrichtung des Finance-Ressorts und haben damit Ausstrahlungswirkung auf das Controlling. Idealerweise gestalten die Controllerinnen und Controller als Change Agents diese Veränderungsprozesse mit. Dabei stellen sich die gleichen Fragen: Wie ändert sich die Finanzorganisation? Welche Implikationen ergeben sich für die Rolle der Controller? Sind neue Prozesse erforderlich? Welche Methoden und Tools sind zukünftig die geeigneten? Wie wirkt dies auf das Geschäftsmodell?

DER CONTROLLING-BERATER: Sehen Sie auch Risiken, die sich für unsere Unternehmen, aber auch für uns Controller aus diesem Thema ergeben können?

Péter Horváth: Nachhaltigkeit und damit verbunden die Integration ins Controlling ist für mich „alternativlos“. Damit sehe ich für Unternehmen vor allem in der Ignoranz des Themas ein Risiko. In der Umsetzung ergeben sich m.E. keine speziellen Risiken, vielmehr zahlreiche Herausforderungen und Chancen sich zu überdenken und zu verändern. So sind die Chancen einer integrierten Steuerung als Basis für erweiterte Rechenschaftspflichten mit dem Ziel einer nachhaltigeren Wirtschaft und inklusiven Gesellschaft sehr groß.

Claudia Maron: Für Unternehmen werden die Risiken immer greifbarer. Wer sich nicht mit den Klimarisiken beschäftigt, zahlt dies zukünftig in Form eines CO2 Preises. Heute scheint dieser Preis gesetzt, folgt man der politischen und wissenschaftlichen Diskussion müsste er doppelt so hoch sein, ist also mehr als risikobehaftet. Im Rahmen des Sorgfaltspflichtengesetzes müssen sich Unternehmen zukünftig mit den Risiken einer Nichteinhaltung von Menschenrechten auseinandersetzen. Liegen die notwendigen Zertifizierungen, z.B. für Umweltmanagement- oder Energiesysteme, nicht vor, besteht das Risiko, Kunden nicht zu gewinnen oder gar zu verlieren. Auch das Thema Sustainable Finance nimmt an Fahrt auf. Nachhaltiges Management, das ggf. durch ein Nachhaltigkeitsrating zertifiziert wird, erhält Zugang zu günstigeren Finanzierungskonditionen. Für das Berufsbild der Controllerinnen und Controller besteht das Risiko, eine der wichtigsten zukünftigen Aufgaben nicht aktiv mitzugestalten. Heute sind es noch die Finanzen, aber das Interesse der Stakeholder verschiebt sich gerade hin zu nachhaltig geführten Unternehmen.

DER CONTROLLING-BERATER: Vor dem Hintergrund des erweiterten Aufgabenspektrums, worin sehen Sie die größte Herausforderung für den Controlling-Bereich?

Péter Horváth: Die größte Herausforderung sehe ich in der grundlegenden Veränderungsbereitschaft über die Unternehmensgrenzen hinauszuschauen sowie in der extrem integrierten, über Bereichsgrenzen hinweg erforderlichen Zusammenarbeit. Darüber hinaus sehe ich die Notwendigkeit eines Prozesses zur nachhaltigkeitsfokussierten Weiterentwicklung aller Instrumente von der operativen Kostenrechnung bis zur Strategieentwicklung.

Claudia Maron: Raus aus den Financials, rein in die non-financials, denken in Analytics und der stärkere Strategiebezug sind die wesentlichen Herausforderungen. Z. B. gehören Kunden-, Mitarbeiterzufriedenheit oder der Net-Promoter Score bereits heute zu den strategischen TOP KPIs. Das Internet der Dinge liefert mit Smart data eine unglaubliche Menge an Daten. Diese nicht-finanziellen Informationen mit der Finanzwelt zu verknüpfen, in Datenmodelle gießen und mit KI oder Business Analytics auszuwerten, genau da können Controller ansetzen, um Nutzen in der Wertschöpfungskette zu generieren. Wie schlank wäre ein Strategie- und Planungsprozess, wenn beziffert werden könnte, dass die Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit um einen Prozentpunkt xxx Euro kostet? Und gleichzeitig die fünf wirksamsten Maßnahmen auf Basis von KI vorgeschlagen werden? Dazu sind Controller als Change Agents und Partner des Managements gefordert.

DER CONTROLLING-BERATER: Inwieweit brauchen wir vor dem Hintergrund der nach wie vor bestehenden Zentrierung unserer Berichtssysteme auf die Finanzen und des besprochenen Aufgabenwandels im Controlling, Erweiterungen unserer bestehenden Metriken und Steuerungsinstrumente? Oder bedarf es gar grundlegend neuer Metriken und Informationssysteme?

Péter Horváth: Ich sehe die grundlegende Notwendigkeit eines Prozesses zur nachhaltigkeits-fokussierten Weiterentwicklung aller Instrumente - von der operativen Kostenrechnung bis hin zur Strategieentwicklung. Der größte Entwicklungsbedarf liegt m.E. bei der Entwicklung von neuen umweltbezogenen und sozialen Metriken und deren Verbindung (Ursache-Wirkung) zur finanziellen Dimension. Darüber hinaus müssten auch entsprechende Business-Analytics-Tools entwickelt werden.

Claudia Maron: Die Frage nach den Metriken und Steuerungsinstrumenten stellt sich erst an zweiter Stelle. Für den Change hin zu einer integrierten Berichterstattung und dem Wandel der Aufgaben, die neben den ökonomischen Größen auch ökologische und soziale Aspekte berücksichtigen, gehört an erster Stelle ein geändertes Mindset im Controlling. Nichtfinanzielle Informationen in die Unternehmenssteuerung zu integrieren, ist für die eher finanzorientierten Controller die neue Herausforderung. Orientierung gibt das Leitbild der Green“- Controller . Als Partner des Managements leisten sie einen wesentlichen Beitrag zum nachhaltigen Erfolg der Organisation in wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Hinsicht. 

 

Horváth, P. / Maron, C. (Internationaler Controller Verein)
Erschienen in: Zeitschrift „Controlling-Berater“ (2021)

 

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