Horváth Innovation Insights

Zukunftsmärkte – Von blauen Ozeanen und dem Licht im Dunkeln

Seit Jahren treibt die Fernsehsendung „Die Höhle der Löwen“ die Einschaltquoten in die Höhe. Die teilnehmenden Start-ups, die um die Gunst der Investoren buhlen, möchten einen Zukunftsmarkt erobern und mit ihren Produkten satte Gewinne einfahren. Doch was genau sind Zukunftsmärkte und wie können sie identifiziert werden? Wir verraten es Ihnen.

Über die Entdecker der Neuzeit

Neben den bekannten „Magellans der Neuzeit“ wie Elon Musk, Jeff Bezos, Larry Page oder Sergey Brin gibt es eine Vielzahl weiterer erfolgreicher Zukunftsmarktentdecker. Einer, der es geschafft hat, einen Zukunftsmarkt erfolgreich zu erobern, ist Godo Röben. Vor fünf Jahren war Röben noch Leiter der Marketingabteilung des Wurstherstellers Rügenwalder Mühle. Er beobachtete den Markt für Fleischwaren sehr genau und kam zu dem Schluss: Unser Business-Modell, bei dem die Tötung von Tieren im Fokus steht, hat langfristig keinen Platz mehr in der heutigen, auf Nachhaltigkeit und Achtsamkeit bedachten Gesellschaft.

Daraufhin wagte er den mutigen Schritt, sich an die Geschäftsführung und, noch mutiger, an die Belegschaft zu wenden und sie von seiner Idee der vegetarischen Wurst zu begeistern. Mit Erfolg. Kurz darauf begann das fast 200 Jahre alte Traditionsunternehmen kontinuierlich neue vegetarische Produkte auf den Markt zu bringen, um dem fleischlosen Trend voranzugehen. Das Ziel, bis 2020 das Portfolio auf 40 Prozent vegetarische Produkte umzustellen wurde in der Unternehmensstrategie festgehalten und mit vollem Einsatz verfolgt. Heute ist Röben CEO und beschäftigt sich wieder mit der Frage: Wo soll das Unternehmen hin? Es geht erneut darum, einen Zukunftsmarkt zu identifizieren.

Doch was ist überhaupt ein Zukunftsmarkt?

Charakteristiken eines Zukunftsmarktes

Vier Charakteristiken ermöglichen es, einen Zukunftsmarkt von einem Trend oder bereits etablierten Markt zu unterschieden: Ursprung, Einordnung, Konkurrenz und Konsequenz.

Der Ursprung von Zukunftsmärkten kann ermittelt werden, indem Megatrends und ihr Umfeld genau beobachtet werden. Godo Röben beispielsweise identifizierte als relevanten Treiber den Megatrend der Nachhaltigkeit, der aus Einflüssen wie dem Klimawandel gespeist wird, ebenso wie den demographischen Wandel und den damit verbundenen Wertewandel der Gesellschaft. Verschiedene Zukunftsforschungsinstitute und Think Tanks haben eine Auswahl von Megatrends zusammengestellt, die als Orientierung dienen können. Tiefere Analysen des sich wandelnden Umfelds werden mit Hilfe der Szenariotechnik möglich. Hierbei werden vielfältige Einflussfaktoren auf das globale und das Branchenumfeld des Unternehmens identifiziert und mit verschiedenen Ausprägungen zu Szenarien kombiniert. Diese dienen im Unternehmen dann als Grundlage für die Ableitung von Stoßrichtungen in potenziell attraktive Zukunftsmärkte.

Ein Zukunftsmarkt kann außerdem definiert werden durch eine Einordnung in eines der bekanntesten Wachstumsstrategie-Frameworks, der sogenannten Ansoff-Matrix. Diese unterscheidet Markt- und Produktentwicklungen. Sind beide Faktoren niedrig ausgeprägt, findet ausschließlich eine Marktdurchdringung ohne innovativen Charakter statt. Die anderen drei Quadranten hingegen bedeuten entweder eine Produktinnovation, die einen Zukunftsmarkt begründet (beispielsweise eine vegane Leberwurst), eine Marktentwicklung (beispielsweise das Angebot einer Teewurst in Afrika) oder eine Branche, die so bisher noch nicht existierte. Kann der identifizierte Zukunftsmarkt in einem dieser drei Felder verortet werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein innovatives Wachstumspotenzial besteht.

Ein weiteres Kerncharakteristikum eines Marktes ist die Art und Anzahl der Wettbewerber. Aus diesem Grund ist es auch bei Zukunftsmärkten notwendig, die Konkurrenzsituation näher zu betrachten. Aufgrund der Neuartigkeit eines Zukunftsmarktes ist es wahrscheinlich, dass es sich um einen sogenannten „Blue Ocean“ handelt. Im Ocean-Modell von Kim und Mauborgne wird beschrieben, wie temporäre Monopole, unberührt vom blutigen Machtkampf mehrerer Unternehmen, blaue Ozeane darstellen. Für gewöhnlich sind diese blauen Ozeane allerdings gekennzeichnet durch hohe Markteintrittsbarrieren oder schlicht die Schwierigkeit, diese Märkte zu erkennen – schließlich sind alle Unternehmen auf der Suche danach.

Ist ein blauer Ozean allerdings einmal identifiziert und erschlossen, wartet in Konsequenz die Belohnung in Form einer langfristigen, starken Nachfrage, einem großen Entwicklungspotenzial und hohen Gewinnen.

Identifikation von Zukunftsmärkten

Vor diesem Hintergrund wirkt es fast schon erstaunlich, wie gering die Zahl der Unternehmen ausfällt, die sich auf die Suche nach einem Zukunftsmarkt machen. Dies ist häufig bedingt durch die bestehende Marktmacht etablierter Unternehmen und die Sorge, diese Position aufgrund von Kannibalisierungseffekten zu verlieren. So wollte Kodak seine Filme nicht durch eine Digitalkamera kannibalisieren oder Xerox seine Papierverkäufe nicht durch Computer. Ein weiterer Faktor ist die menschliche Eigenschaft des Zurückschreckens vor Ungewissheit. Diese Problematik wird in der folgenden Metapher deutlich:

„Ein Betrunkener sucht unter einer Straßenlaterne seine Schlüssel. Ein Polizist hilft ihm bei der Suche. Als der Polizist nach langem Suchen wissen will, ob der Mann sicher sei, den Schlüssel hier verloren zu haben, antwortet jener: „Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster.“

Watzlawick, 2003

Anstatt zu suchen, wo es dunkel, aber erfolgversprechend ist, verlassen sich Unternehmen auf inkrementelle, aber berechenbare Innovationen. Doch wie können sie Licht ins Dunkel bringen und wirklich disruptive Ideen und Zukunftsmärkte identifizieren? Hierbei unterstützt die sogenannte Innovationsarchitektur.

Innovationsarchitektur am Beispiel des Fleischmarktes (Augsten, Brodbeck & Birkenmeier, 2017)

Die Innovationsarchitektur vereint Markt-, Produkt- und Technologieaspekte und unterstützt in vier Schritten die Identifikation von Zukunftsmärkten:

  1. Analyse der Kernelemente: Zu Beginn des Prozesses werden die Ist-Situation des Unternehmens analysiert und mit Hilfe der Architektur Lücken im aktuellen Geschäftsmodell oder Markt identifiziert. Außerdem gilt es, beispielsweise mit Hilfe von Experteninterviews, die Ressourcen und Fähigkeiten des Unternehmens zu erfragen, die zur Füllung dieser Lücken notwendig sind. Zuletzt werden die gesammelten Erkenntnisse in die Architektur überführt.
  2. Ermittlung & Beschreibung von Fokusfeldern: Einer der Bausteine aus der Architektur wird ausgewählt und näher beschrieben (z.B. das Bedürfnis nach gesunden Fleischalternativen). Dieser Baustein wird dann mit einem weiteren verknüpft (z.B. dem 3D-Bio-Printing). So werden nach und nach Bausteine ergänzt bis eine schlüssige Formulierung eines Fokusfelds entsteht. Auf diese Weise sollten mehrere potenzielle Fokusfelder formuliert werden.
  3. Bewertung & Auswahl eines strategischen Fokusfelds: Nachdem die Fokusfelder mit den Muss-Kriterien des Unternehmens (z.B. Übereinstimmung mit der Unternehmensstrategie, dem Kundennutzen und ausreichenden Kapazitäten) abgeglichen wurden, können die übrigen Felder auf einer Matrix angeordnet werden. Diese umfasst das „Ausmaß der sich bietenden Chance“ und die „Notwendigkeit der Bearbeitung“. Nur jene Fokusfelder und resultierende Zukunftsmärkte werden zugelassen, die eine große Chance und hohe Notwendigkeit beinhalten.
  4. Erarbeitung einer Roadmap: Zuletzt werden konkrete Maßnahmen und Verantwortlichkeiten in einem Zeitplan zur Erschließung des Zukunftsmarktes festgehalten.

Diese Vorgehensweise unterstützt Unternehmen dabei, strukturiert Licht ins Dunkel zu bringen und die Sorge vor der Ungewissheit zu nehmen.

So können Organisationen mutig – wie Godo Röben von Rügenwalder oder die Kandidaten aus „Die Höhle der Löwen“ – neue Wege einschlagen und ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig sichern.