- In 77 Prozent der deutschen Unternehmen wirkt sich die Berichterstattung über die negative Wirtschaftsentwicklung demotivierend aus
- Während deutsche Firmen an Innovationsstau und Bürokratie verzweifeln, setzen US-Unternehmen konsequent auf die Steigerung des Unternehmenswerts und nachhaltiges Wachstum
- In den USA wird in mehr als zwei Drittel der Unternehmen in jedem Board-Meeting über Wachstumsstrategien und -chancen gesprochen (67%), in Deutschland in weniger als einem Drittel (31%)
- C-Level-Ebene und darunter liegende Hierarchien werden in den USA deutlich häufiger auf Wachstumsziele incentiviert
- Analyse von über 4.000 Unternehmensdaten zeigt: Erfolg von internationalen Top-Playern ist nicht standort- oder branchenabhängig
- Warum der „German Mittelstand“ dennoch spezielle Konzepte braucht
Es ist die Gretchenfrage der Stunde: Wie kommt die deutsche Wirtschaft wieder auf Kurs? Eine großangelegte Horváth-Studie, in der die Entwicklung der weltweit über 4.000 erfolgreichsten börsennotierten Unternehmen von 2019 bis 2023 analysiert wurde, zeigt zumindest: der Erfolg besonders erfolgreicher Unternehmen ist nicht von Standort oder Branche determiniert. Es ist die „Unternehmensperformance“, die Summe an unternehmerischen Maßnahmen, die den Ausschlag gibt. Doch welche Maßnahmen sind das? Was sind entscheidende Erfolgsfaktoren? Eine Vergleichsbefragung von großen deutschen Firmen und großen US Companies gibt Aufschluss.
„Besonders spannend und bezeichnend ist ein vermeintlich simples Ergebnis. Während in zwei Drittel der US-Unternehmen in Vorstandsmeetings immer über Wachstumsstrategien und neue Wachstumschancen gesprochen wird, passiert das hierzulande nicht einmal in jedem dritten Unternehmen“, sagt Heiko Fink, Studienleiter und Partner der Managementberatung Horváth. In Deutschland geben denn auch 78 Prozent der Vorstands- und Geschäftsführungsmitglieder an, dass die anhaltende Berichterstattung über ausbleibendes Wirtschaftswachstum sich demotivierend in ihrem Unternehmen auswirkt. „Haltung und Kommunikation in Bezug auf Wachstumschancen sind Faktoren, die eine riesige Wirkung entfalten können – positiv wie negativ – und sehr häufig unterschätzt werden“, so der Experte.
Wachstumsziele: US-Unternehmen setzen mehr auf Wertsteigerung als auf Marktanteilgewinnung
Große Unterschiede offenbaren sich auch bei der Frage nach den drei wichtigsten Wachstumszielen. In den USA stehen die Top-Ziele „Nachhaltiges Wirtschaften verbessern“ sowie „Unternehmenswerterhöhung“ weit vor der reinen Marktanteilvergrößerung (Rang 4). Drittwichtigstes Ziel von US-Unternehmen ist „technologischer Vorsprung“. In Deutschland ist die Rangfolge: Innovationskraft stärken, Marktanteile vergrößern, technologischen Vorsprung erzielen. „Es scheint so, als hätte man sich hier an dem Innovationsthema verbissen. Zwanghaft innovativ sein zu wollen, wird aber nicht funktionieren. Für Innovationen braucht es vor allem eins: unternehmerischen Mut zur konsequenten Allokation in wertsteigernde Bereiche“, so Horváth-Experte Fink. „Fünf Hebel sind gemäß unserer Analyse besonders wichtig und wirken gerade kombiniert als Wachstumsbooster: Straight forward M&A & klare Divestments, R&D Investments, Kooperationen & Ökosysteme, Reallocation of Ressources, Finanzielle Struktur & Produktivitätssteigerungen.“ Genau diese wertsteigernden Investitionen machen dem Experten zufolge nachhaltiges Wachstum aus.
Inkonsequente Incentivierung
Die mangelnde Konsequenz vieler deutscher Unternehmen zeigt sich in der Studie auch in einem weiteren Thema: der Incentivierung von Führungskräften. Auffällig ist zum einen, dass in den USA deutlich mehr Führungskräfte auf C-Level auf Wachstumsziele incentiviert werden als in Deutschland (87% zu 64%). Eine Ebene tiefer gibt es in Deutschland, abseits des Sales-Bereichs, schon in kaum einem Bereich eine mit Wachstum verknüpfte erfolgsabhängige Vergütung statt (31 Prozent). Und auch auf Teamleitungsebene konzentriert sich die Incentivierung auf den Vertrieb. „Der Sales-Fokus trimmt die Organisation auf kurzfristige Umsatzsteigerung. Verantwortung, Einflussmöglichkeit und Comittment in Bezug auf den Unternehmenserfolg wird nicht organisationsübergreifend verteilt“, so Fink.
Bewertung externer Rahmenbedingungen
Horváth hat die Unternehmensverantwortlichen außerdem gefragt, welche externen Rahmenbedingungen ihrer Organisation den größten Wachstumsschub bereiten könnte. In Bezug auf die Top 1 und 2 herrscht Einigkeit: Innovationsförderung sowie stabile wirtschaftliche Verhältnisse führen die Wunschliste in beiden Ländern an. In den USA folgen an dritter und vierter Stelle: die Förderung nachhaltigen Wirtschaftens (DE: 5. Rang) und die Migration von Fachkräften (DE: 9. Rang). Hierzulande stehen dagegen an vierter und fünfter Stelle: der verbesserte Zugang zu internationalen Märkten (USA: 8. Rang) und Bürokratieabbau. In den USA spielt dieser „Hebel“ mit nur dreiprozentiger Nennung überhaupt keine Rolle.
„Hier muss man eine Lanze brechen für den deutschen Mittelstand, der von den Auswüchsen der Regulierung, zusätzlich zu hohen Energie- und Lohnkosten, schon sehr gebeutelt ist – definitiv ein internationaler Nachteil und ein negativer Standortfaktor, der sich, sollte er in der Form anhalten, auch mathematisch in der Entwicklung zeigen würde“, so Horváth-Partner Heiko Fink. Dazu gehören dem Experten zufolge auch Nachhaltigkeitsvorgaben, die von 71 Prozent der befragten deutschen Top-Führungskräfte eher hemmend als förderlich fürs Unternehmenswachstum beschrieben werden, gerade auch in Verbindung mit Sourcing-Problemen.
Passende Wachstumskonzepte für den Mittelstand benötigt
In Deutschland machen familienkontrollierte beziehungsweise eigentümergeführte Unternehmen in Umsatz und Mitarbeitendenanzahl etwas mehr als die Hälfte der Gesamtwirtschaft aus, und die 100 größten Familienunternehmen sind im vergangenen Jahr stärker gewachsen als DAX-Konzerne. „Für den Wachstumsmotor Mittelstand braucht es spezielle Ansätze und Wachstumsstrategien“, betont Horváth-Partner Heiko Fink. „Familienunternehmen jagen nicht jedem Trend sofort hinterher. Die Bereitschaft, in Innovation und Technologie zu investieren, ist aber traditionell hoch und das ist aktuell auch wichtig. Doch bei aller Liebe zur technischen Exzellenz darf die Leistungsfähigkeit nicht aus dem Fokus geraten.” Diese zu steigern, ist dem Experten zufolge die Voraussetzung, um die Zukunft sowohl inhaltlich als auch strukturell zu meistern. Und dafür bedarf es einer konkreten Wachstumsstrategie sowie der Ableitung einer ambitionierten, aber machbaren Zielkostenstruktur sowie ein Zielbild über notwendige Kompetenzen. In der Praxis zeigt sich dabei das Thema Transparenz als große Herausforderung. Die Steuerung sei oft historisch gewachsen, und um maximal von neuer Technologie zu profitieren, fehlt es an Überblick und Datenbasis. Aktuell geben auch 60 Prozent der deutschen Firmen an, dass es ihnen an ganzheitlichen transformativen Ansätzen fehlt, um Wachstum in der heutigen komplexen und dynamischen Zeit zu managen.
Doch sind Finanzsituation, Geschäftsfelder und Organisation aufgeräumt, kann mit der Wachstumsinitiative begonnen werden – und dann könnten Familienunternehmen ihre volle Stärke entfalten. „Ist die Führungsriege einmal vom richtigen Kurs überzeugt, steuern sie die Organisation in der Regel konsequent durch – bis das letzte Teammitglied aligned ist”, so Fink.
Über die Studie
Für die Horváth-Studie “Back to Growth, zurück zum Wachstum –Unternehmenswachstum auch in Krisenzeiten sichern“ wurden länder- und branchenübergreifend insgesamt 160 Unternehmen befragt, die mindestens 200 Millionen Euro Umsatz in Jahr erwirtschaften und mindestens 200 Mitarbeitende beschäftigen. Die Stichprobe umfasst 100 repräsentativ ausgewählte deutsche Firmen und 30 US-Unternehmen. Die Mehrheit der Befragten machen Vorstands- und Geschäftsführungsmitglieder aus, Industrieunternehmen bilden die Hälfe aller Befragten. Ergänzend wurde die Unternehmensentwicklung von 4.125 erfolgreichen börsennotierten Organisationen analysiert, um die wesentlichen Erfolgsfaktoren zu überprüfen. Die Interviews fanden Ende des dritten Quartals 2024 statt, die Unternehmensdaten-Analyse wurde im Oktober durchgeführt.