Die Anzahl der öffentlichen Ladepunkte in Deutschland hat gemäß dem BDEW-Ladesäulenregister enorm zugenommen. Im Jahr 2010 gab es noch weniger als 1.000 dieser Stationen. Die Bestrebungen der vergangenen Jahre, den Ausbau flächendeckend zu fördern, führten 2018 zu einem Bestand von mehr als 16.000 Ladepunkten und damit zu einem Wachstum von knapp 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Nichtsdestotrotz ist weiterhin deutlich mehr Dynamik erforderlich, denn der Durchbruch der Elektromobilität ist unter anderem abhängig von öffentlichen und halb-öffentlichen Ladepunkten, da private Stationen nicht ausreichen, um die Elektromobilität in vollem Umfang voranzutreiben.
Trotz positiver Entwicklungen in den vergangenen Jahren entspricht die deutsche Ladeinfrastruktur bei weitem nicht den notwendigen Anforderungen. Alexander Rittel, Co-Autor der Elektromobilitätsstudie und Berater bei Horváth & Partners, sieht strategische Fehler und die daraus resultierende Problematik auch bei den deutschen Fahrzeugherstellern: „Die Einstellung der etablierten OEMs – der Erstausrüster – war geprägt von üblichen, finanzgetriebenen Entscheidungsmustern und nicht von visionärer Stärke. Ganz im Gegensatz zu Tesla, die frühzeitig in einen Zukunftsmarkt investiert, eine eigene Batteriefertigung mit Panasonic aufgebaut und eine Infrastruktur von über 3.600 eigenen Schnellladepunkten in Europa geschaffen haben.“ Im Zuge des enormen Drucks gehen die Automobilhersteller inzwischen gemeinsame Wege und versuchen auf diese Weise die Hindernisse zu überwinden, die dem Durchbruch der Elektromobilität im Weg stehen. BMW, Daimler und der Volkswagen-Konzern haben sich dem Joint Venture IONITY angeschlossen, das das Ziel verfolgt, zirka 400 öffentliche Ultraschnell-Ladestationen mit 350 kW entlang von Autobahnen in Europa bis 2020 aufzubauen und zu betreiben. Bis Mai 2019 wurden allerdings erst 100 Ladestationen von IONITY aufgestellt, weitere 50 befinden sich in der Bauphase.
Tankstellen: „Klassischer Fall des Henne-Ei-Problems“
Dass der Ausbau der Ladeinfrastruktur nur schleppend vorankommt, ist auch am Beispiel der Tankstellen zu sehen. „Momentan ist die Umrüstung auf Ladestationen noch sehr teuer und lohnt sich für viele Tankstellenbesitzer kaum. Ein klassischer Fall des Henne-Ei-Problems“, sagt Alexander Rittel. Bei den aktuellen Absatzzahlen von Elektrofahrzeugen sehen viele Tankstellenbesitzer nicht die Notwendigkeit umzurüsten. Auf der anderen Seite schrecken noch viele Kunden vor dem Kauf eines E-Autos zurück, da ihnen die bestehende Ladeinfrastruktur nicht ausreicht. Ob erst die Infrastruktur mit hohen Investitionskosten auszubauen ist oder neue und preiswerte Modelle für Schwung beim Absatz sorgen – das bleibt das ungelöste Problem. Allerdings soll der Diesel- und Benzinabsatz einigen Prognosen zufolge bis 2030 um mehr als ein Drittel einbrechen. Dementsprechend werden viele der rund 14.500 Tankstellenbetreiber in Deutschland dazu gezwungen sein, im Zuge der Elektromobilität massiv ihr Geschäftsmodell zu verändern oder, insbesondere in strukturschwachen Regionen, auch zu schließen.
Handlungsbedarf besteht aber nicht nur bei den Automobilherstellern und Tankstellen. Auch die Städte müssen ihre Anstrengungen dringend erhöhen. Aktuell mangelt es hier in großem Maße an Ladepunkten. Die Berater von Horváth & Partners haben den Bedarf an Ladepunkten in den fünf größten deutschen Städten analysiert. Gemäß der Auswertung müssten allein in Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt im Jahr 2020 zusammen mehr als 50.000 neue Ladepunkte gebaut werden, um die notwendige Infrastruktur für Elektrofahrzeuge zu schaffen. In einem realistischen Szenario steigt der Bedarf allein für das Jahr 2025 auf mehr als 200.000 neue öffentliche, halböffentliche und private Ladepunkte in diesen fünf Metropolen an. Dieser Markt muss und kann strategisch insbesondere von den Energieversorgern erschlossen und bedient werden.
Versäumt Deutschland den Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur deutlich voranzutreiben, kann nicht erwartet werden, dass sich die Elektromobilität und damit auch die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen schnell entwickelt. Nur wenn die notwendigen Rahmenbedingungen erfüllt sind, wird Deutschland die Zukunft der E-Mobilität mitgestalten können.
Über die Studie:
Im Rahmen des „Horváth & Partners Faktencheck E-Mobilität“ analysieren die Berater jährlich die Entwicklung wesentlicher Treibergrößen der Elektromobilität in Deutschland. Auf der Grundlage der verwendeten Ist-Werte rechnen sie dabei das aktuelle Wachstumsmomentum auf die kommenden Jahre hoch.