- Abrufvolumen der Hersteller für E-Fahrzeugkomponenten um bis zu 50 Prozent unterschritten
- Zwei Drittel der Unternehmen setzen auf Liquiditätsoptimierung
- 60 Prozent der Zulieferer planen moderaten Stellenabbau in Deutschland
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über die schleppenden Fortschritte deutscher Automobilhersteller bei der E-Mobilität berichtet wird. Wie stark gerade auch die Zuliefererindustrie darunter leidet, zeigt jetzt eine aktuelle Horváth-Untersuchung unter 50 überwiegend weltweit agierenden Automotive-Suppliern. „Die wirtschaftliche Situation hat sich für viele Zulieferer deutlich verschlechtert und bringt einige Unternehmen zunehmend in Bedrängnis“, sagt Frank Göller, Partner und Automotive-Experte bei Horváth. Der Kostendruck sei höher denn je, was sich in immer robusteren Verhandlungen mit den Autoherstellern zeigt. Zudem habe die aktuell geringe Nachfrage nach Elektrofahrzeugen immer stärkere Folgen für die Autozulieferer. Zum Teil würden aktuell, je nach Fahrzeugtyp und Komponente, bis zu 50 Prozent weniger Teile abgenommen als in Aussicht gestellt. „Die Umstellung auf die Module und Bauteile für E-Fahrzeuge erfordert erhebliche Investitionen und viele Zulieferern haben aufgrund der reduzierten Nachfrage hohe Einbußen bei Umsatz und Ertrag“, so der Experte.
„Es wird darauf ankommen, dass Automobilhersteller und Zulieferer in dieser schwierigen Phase zu gemeinsamen Lösungen kommen, um die Lieferfähigkeit entlang der Supply Chain langfristig zu sichern und trotz unterschiedlicher finanzieller Interessen bei den Preisverhandlungen zu tragfähigen Kompromissen zu kommen“, sagt Göller. Eine Konsolidierung der Zuliefererlandschaft ist schon längere Zeit im Gange und weitere Zusammenschlüsse oder Übernahmen sind wahrscheinlich. „Es ist zweifellos aber im Interesse der Automobilhersteller, dass die Zulieferer als wesentliche Triebfeder für Innovationen auch langfristig wirtschaftlich tragfähig agieren können“, so Göller. Die aktuelle Markt- und Wettbewerbssituation sei ein Weckruf und erfordere konsequentes Handeln. Dabei sind dem Experten zufolge sowohl hohe Investitionen in neue Produkte und Technologien sowie Kosteneinsparungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Zulieferer erforderlich.
Festhalten am Verbrenner führt zu einer langen Übergangphase
Die Entwicklung bei den Herstellern, aus Wettbewerbsgründen deutlich länger auf Verbrenner zu setzen als geplant, macht die Situation nicht unbedingt einfacher. Viele Zulieferer haben, wie die Horváth-Studie zeigt, zuletzt wesentlich auf E-Mobilität gesetzt. Je nach Produktspektrum eines Zulieferers sind die Auswirkungen aber sehr unterschiedlich. Viele Komponenten des Interieur beispielsweise werden gleichermaßen bei Verbrenner und E-Fahrzeugen benötigt. Anders sieht es bei Bauteilen des Antriebsstrangs aus. Hier werden viele traditionelle Bauteile nicht mehr benötigt, dafür komplett neue Systeme und Bauteile entlang des elektrischen Antriebsstrangs. Der langsamere Hochlauf der E-Mobilität bedeutet für viele Zulieferer das längere Vorhalten bestehender Produkte für die OEM-Kunden sowie eine längere Phase von Parallelinvestitionen in Bauteile für Verbrenner und E-Fahrzeuge. „In Summe steigt für viele Zulieferer die Anzahl der Produktvarianten weiter an bei oftmals sinkenden Volumen je Teilevariante, was Skaleneffekte deutlich erschwert“, sagt Horváth-Partner und Automotive-Experte Frank Göller.
Liquiditätsoptimierung als Topthema
Angesichts dieser Lage verwundert es wenig, dass 65 Prozent der befragten Vorstands- und Geschäftsführungsmitglieder aus der Zuliefererindustrie angeben, Liquiditätsmanagement derzeit mit höchster Priorität zu betreiben, weitere 30 Prozent mit hoher Priorität. Das bedeutet: Die meisten Unternehmen arbeiten mit Hochdruck daran, fällige Forderungen schnellstmöglich zu erhalten, Lagerbestände zu optimieren und Kosten zu reduzieren.
Mehr als 60 Prozent der Zulieferer planen Personalabbau in Deutschland
Gerade in Deutschland, wo Produktions- und Lohnkosten hoch sind, wird künftig noch stärker an Personal gespart. Fast sechs von zehn Firmen planen hier in den kommenden fünf Jahren eine moderate Reduktion ihrer „Workforce“. Gleichzeitig planen die überwiegend global agierenden Zulieferer den Aufbau von Personal in anderen Regionen, unter anderem in Osteuropa, Indien und auch weiterhin in China.
Investiert wird weiterhin in den Standort Deutschland
Zulieferer mit Zentrale in Deutschland wollen aber auch weiterhin stark in Deutschland investieren, etwa ein Fünftel ihrer Gesamtinvestitionen bis 2029 werden voraussichtlich hier im Land verbleiben. Im Fokus stehen insbesondere die Befähigung der Werke für die Produkte der Zukunft sowie Investitionen in „Digital Operations“, um die Effizienz in Produktion und Supply Chain weiter zu optimieren. Global investiert wird durch die Zulieferer vermehrt in Nordamerika (18 Prozent CAPEX-Anteil), in China (16%) und in Osteuropa (15%). „Wettbewerbsfähige Produktion ist auch in Deutschland möglich, erfordert aber konsequentes Handeln für schlanke Prozesse und reduzierte Produktkosten“, so Frank Göller von Horváth.
Über die Studie
Für die Horváth-Studie wurden Interviews mit insgesamt über 100 Vorständen und Geschäftsführungsmitgliedern großer Automotive-Unternehmen geführt, davon 52 Zulieferern, 35 aus Deutschland. Zwei Drittel der befragten Zuliefererbetriebe beschäftigen mindestens 1.000 Mitarbeitende und erwirtschaften mindestens 1 Milliarde Euro Umsatz in Jahr. Die Interviews wurden im zweiten Quartal 2024 geführt.