- Konjunkturschwäche, Personalmangel, hohe Energiekosten und fehlende politische Weichenstellung zwingen Unternehmen zur Neuausrichtung
- Expansion findet vor allem in den USA und asiatischen Märkten statt, kaum Wachstum in Europa, Abkehr von Deutschland
- Für 2024 sinkende Umsätze prognostiziert
Kosten, Kapital, Kapazitätsverschiebungen – diese Themen beschäftigen derzeit die Vorstandsmitglieder produzierender Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau. Während 2022 nur rund die Hälfte aller Topführungskräfte angaben, dass Kapitalbindung (Working Capital) für sie von sehr hoher oder hoher Relevanz ist, sind es in diesem Jahr mehr als 80 Prozent. Noch wichtiger ist ihnen derzeit aber die Optimierung ihrer Kostenstruktur. 86 Prozent bewerten das Handlungsfeld als aktuell sehr wichtig oder wichtig für ihr Unternehmen. Dies sind Ergebnisse der Branchen-Trendstudie „Maschinenbau, Anlagenbau, Elektrotechnik 2023“ der Managementberatung Horváth.
„Drastisch gestiegene Energie- und Personalkosten, der weltweit zunehmende Protektionismus und dazu das Zinsniveau – der Maschinen- und Anlagenbau ist beunruhigt und stellt seine Aufstellung auf den Prüfstand“, sagt Horváth-Partner und Studienleiter Ralf Sauter. „Standortverlagerungen und Umverteilungen von Kapazitäten und Investitionen sind in vollem Gang – und zwar in potenzialträchtige Märkte, die industriefreundliche Rahmenbedingungen bieten und über ausreichend Fachkräfte verfügen“, so Industrieexperte Sauter. Dazu gehören vor allem die USA, die mit dem Inflation Reduction Act besonders attraktive Produktionsbedingungen bieten – und damit fatalerweise auch gerade Unternehmen aus Zukunftsbranchen anlocken, etwa im Bereich der erneuerbaren Energien. Drei Viertel der Anlagen- und Maschinenbauer wollen ihre Aktivitäten dort innerhalb der nächsten fünf Jahre ausbauen, mehr als ein Drittel in großer Dimension. Ein Abbau findet bei weniger als fünf Prozent der Unternehmen statt.
Wachstum fokussiert sich vor allem auf die USA und Asien
Selbst in China, wo die Konjunktur schwächelt, sehen die Maschinenbauer noch mehr Potenzial als auf dem “alten Kontinent”. Als Reaktion auf das protektionistischen Verhalten Chinas setzen viele Unternehmen auf De-Risking und verfolgen strategische „Local-for-Local“-Ansätze mit regionalen Bezugsquellen, geringen Lohnkosten und Marktnähe. Sieben von zehn Unternehmen planen, ihre Präsenz dort auszubauen. Nur ein Sechstel reduziert Kapazitäten. Als Trendmarkt kristallisiert sich Indien heraus, den 90 Prozent der Maschinenbauer verstärkt ins Visier nehmen, um Chancen zu nutzen. Viele hoffen, dass Indien eine ähnlich rasante Entwicklung des Wirtschaftswachstums gelingt wie China in seit den 90er Jahren – und damit ist die Liste der asiatischen Potenzialmärkte noch lang nicht abgeschlossen.
Europa verliert an Bedeutung, Deutschland schießt sich ins Aus
Wenig Argumente verbleiben für den Westen Europas, wo nur ein mageres Fünftel einen Ausbau plant – bei gleichzeitigen 31 Prozent, die Kapazitäten abziehen wollen. Insbesondere Deutschland verliert als Industrienation immer mehr an Bedeutung. Der demografische Wandel schlägt voll zu, Personal ist nicht einfach nur teuer, sondern teilweise schlicht nicht mehr zu kriegen, dringend benötigte politische und regulatorischen Anreize lassen auf sich warten, Regulatorik und Bürokratie bremsen Innovation und Wachstum aus.
„Aus unseren Gesprächen mit den Vorstandsmitgliedern ergibt sich eine Branchenstimmung, die zwischen Verzweiflung, Ungläubigkeit und Resignation changiert“, so Horváth-Partner Ralf Sauter. „Wenn der Protektionismus weiter zunimmt, die Wachstumsaussichten und die Standortbedingungen im Ausland besser sind, dann müssen sich Unternehmer gut überlegen, ob Deutschland als Produktionsstandort noch Sinn macht. Und ist die Wertschöpfungskette einmal neu aufgestellt, gibt es mittel- bis langfristig kein Zurück. Dafür sind Verlagerungen zu teuer und aufwendig.“
Mäßige Aussichten auf 2024
Mit Blick nach vorn ist zumindest im kommenden Jahr noch keine Entspannung auf der Kostenseite zu erwarten, so zumindest die Sicht der befragten Topführungskräfte. Mit einem einstelligen Umsatzrückgang rechnet der Durchschnitt im Vergleich zum laufenden Jahr. Fast alle Unternehmen verzeichnen einen Rückgang im Auftragseingang im zweistelligen Bereich – und einige Unternehmen sind bereits gezwungen, in die Kurzarbeit zu gehen.
Nachhaltigkeit bis auf weiteres herunterpriorisiert
Viele produzierende Unternehmen arbeiten derzeit daran, Nachhaltigkeitsziele und gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen. Im Jahresverlauf ist die Herausforderung, die Wertschöpfungskette entlang der ökologischen Nachhaltigkeit auszurichten, bei den Maschinenbauern auf der Prioritätenliste allerdings um vier Plätze auf Rang 7 abgerutscht. „ESG-Reportings haben sich etabliert, regulatorische Nachhaltigkeitsvorgaben sind zu standardisierten Pflichtaufgaben geworden, Corporate Citizenship ist auch längst kein neues Konzept mehr“, so Ralf Sauter. „Gerade in den vergangenen zwei Jahren haben die Unternehmen bereits große Anstrengungen unternommen, ihre Prozesse nachhaltiger zu gestalten. Da ist es gut nachvollziehbar, dass die Dringlichkeit des Themas in der aktuellen Kostendiskussion abnimmt – zumal beispielsweise Hebel im Bereich der Energieeffizienz im Maschinen- und Anlagenbau beispielsweise im Vergleich zur Grundstoffindustrie deutlich geringer sind.“ Sauter zufolge ist aber auch absehbar, dass das Thema längerfristig wieder zurück auf die ersten Ränge der Management-Agenda rutscht, nämlich dann, wenn die Industrie sich neu sortiert hat und gezwungen ist, das nächste Level der strategischen Weichenstellungen in der „Green Transformation“ anzugehen.
Über die Studie
Für die Branchenbefragung „Maschinenbau, Anlagenbau, Elektrotechnik – Trendstudie 2023“ wurde eine repräsentative Auswahl an Vorstandsmitgliedern aus Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus sowie der Elektrotechnik befragt. Die Stichprobe umfasst mehr als 70 ausgewählte Befragte, mit denen persönliche Interviews geführt wurden. Diese fanden im Rahmen der großangelegten internationalen Horváth-Studie „CxO Priorities 2023“ statt, für die insgesamt über 430 Topmanagerinnen und -manager aus 19 Ländern und 13 Branchen befragt wurden. Die Mehrheit der Befragten stammt aus Unternehmen mit mindestens einer Milliarde Euro Jahresumsatz und 1.000 Mitarbeitenden.