Bei europäischen Unternehmen ist zu erkennen, dass sie sich unabhängiger von China als dominierenden asiatischen Markt machen möchten – ohne vorschnell Chancen im nach wie vor bedeutenden Produktions- und Absatzland zu vergeben. Diese Situation erfordert vor allem für die produzierende Industrie neue Strategien sowie Fingerspitzengefühl – in Bezug auf Investitionen, Technologien, Strukturen, Absatzmärkte und globale Wertschöpfung. Dr. Ralf Sauter, Partner und Industrieexperte bei Horváth, zeigt fünf potenzielle Szenarien auf und leitet daraus entsprechende Strategien ab, mit denen Industrieunternehmen ihre Resilienz steigern können.
1. Expansion of Quality & Innovation Leadership
Für Unternehmen, die China ausschließlich als Absatzmarkt betrachten, jedoch aufgrund der hohen Umsatzanteile, die dort generiert werden, abhängig von dem Land sind, ist der beste Weg zu langfristigem Erfolg das Anstreben einer Qualitäts- und Innovationsführerschaft. Um sich von Wettbewerbsprodukten abzugrenzen und langfristig unersetzbar zu machen, muss ein großer Wissens- und Technologievorsprung erzielt werden. Dies bedingt weitere Investitionen in Produkte und Services, beispielsweise durch die Erweiterung des Angebots um zusätzliche Dienstleistungen. Trotz höheren Aufwands sind Investitionen in Qualität und Innovationen vielversprechender als ein reiner Ausbau von lokaler Beschaffung und Produktion.
2. Embrace the Dual Circle
Betriebe, die sowohl auf eine lokale Beschaffung als auch auf eine lokale Produktion in China setzen, und dort einen hohen Umsatzanteil generieren, sollten eine „Dual-Circle-Strategie“ fahren. Auf diese Weise können sie auch in Zukunft Umsatzpotenziale erfolgreich ausschöpfen. Im inneren, lokalen Kreislauf ist ein wie in der ersten Strategie beschriebener Wissens- und Technologievorsprung gegenüber Wettbewerbern durch gezielte Investitionen sinnvoll. Gleichzeitig sollten sich Unternehmen in einem zweiten Kreislauf mit den globalen Zielmärkten auseinandersetzen, indem sie insbesondere Dual-/Multi-Source- und Nearshoring-Optionen vereinbaren und implementieren sowie Ausschau nach Kooperationspartnern halten. Obwohl das „zweigleisige Fahren“ einen hohen Zeit- und Kostenaufwand mit sich bringt, ist es unabdingbar, um den Absatzmarkt in China bestmöglich zu bedienen und zugleich die Position im globalen Markt weiter auszubauen.
3. Decouple & Strengthen
Für Firmen, die sowohl auf eine lokale Beschaffung als auch auf eine lokale Produktion in China setzen, dort jedoch einen niedrigen Umsatzanteil generieren, könnte „Decouple & Strengthen“ eine vielversprechende Strategie sein. Grundlegend sind die aktive Auseinandersetzung und Implementierung eigener Entkopplungsmaßnahmen, beispielsweise Dual-/Multi-Source, Nearshoring oder kurzfristig der Aufbau von Lagerbeständen in den Ländern der Zielmärkte sowie das gleichzeitige Halten und Stärken des lokalen Absatzmarkts, falls Wachstumspotenzial vorhanden ist. Kooperationspartner können bei der strategischen Umsetzung eine wichtige Rolle spielen. Die Risikobereitschaft und Kapitalbindung bestimmen die Auslegung der Produktionskapazitäten zu Gunsten des lokalen beziehungsweise globalen Markts.
4. China + 1
Für Unternehmen, die Teile für den Produktionsprozess aus China beziehen, dort jedoch weder produzieren noch Absatz generieren, empfiehlt sich eine „China + 1“-Strategie. Die Wertschöpfung sollte angepasst und die Lieferkette resilienter gestaltet werden, indem beispielsweise Rohstoffe oder Produktkomponenten aus mindestens einem weiteren Markt bezogen werden. Es gilt also, zusätzliche Beschaffungspotenziale zu erschließen. Kurzfristig kann ein Aufbau von Lagerbeständen in dem Land des Zielmarkts sinnvoll sein, langfristig werden Einsparungen bei Kapazitäts- und Bestandspuffern möglich. Die Quellen der Beschaffung zu diversifizieren wird zwar kostspielig, jedoch können alternative Technologien zur effizienten Umsetzung beitragen. Zukünftig können zudem die Digitalisierung der Lieferkette sowie die Vermarktung der Vorteile einer lokalen Beschaffung, etwa Nachhaltigkeitsaspekte, einen Mehrwert generieren.
5. Phase out
Für Unternehmen, die Teile für den heimischen Produktionsprozess aus China beziehen, dort aber nur geringe Volumen absetzen, könnte ein geregelter „Phase Out“ sinnvoll sein, sofern sie sich gegenüber dem lokalen Wettbewerb auch perspektivisch nicht durchsetzen können. Das bedeutet, den Absatzmarkt in China auslaufen zu lassen und dort nicht mehr zu investieren. Diese Strategie empfiehlt sich aufgrund der hohen Bedeutung Chinas für Industrieunternehmen, insbesondere als Absatzmarkt, jedoch nur für sehr wenige Firmen. Die neue Mission für Unternehmen, die diesen Weg dennoch wählen, ist die Stärkung des Unternehmens auf anderen Zielmärkten. Der Entwicklungsschwerpunkt liegt auf „offenen“ Märkten und alternativen Technologien. Im Zuge der strategischen Lieferantenentwicklung sollten Kooperationen sowie Dual-/Multi-Sourcingoptionen angestrebt werden. Bei einer Veränderung der Rahmenbedingungen kann ein möglicher Wiedereinstieg von Produktionsaktivitäten neu evaluiert werden.
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Dr. Ralf Sauter