Industrieexperte Prof. Dr.-Ing. Heinz Jörg Fuhrmann im Interview

„Es sind längst nicht alle kurzfristig hebbaren Potenziale ausgeschöpft“

Die anhaltende Energiekrise stellt die Weltwirtschaft vor große Herausforderungen. Besonders betroffen sind energieintensive Branchen wie die Metallindustrie und der Maschinenbau. Was bedeutet das für die grüne Transformation? Mit welchen Folgen müssen Unternehmen rechnen? Und welche Maßnahmen lohnen sich, um in puncto Nachhaltigkeit dennoch einen Sprung nach vorne zu machen? Diese und weitere Fragen beantwortet Prof. Dr.-Ing. Heinz Jörg Fuhrmann, Industrieexperte und langjähriger CEO des Stahlkonzerns Salzgitter, im Interview.

Herr Fuhrmann, welche Chancen bietet die Energiekrise infolge des Russland-Ukraine-Kriegs aus Ihrer Sicht für die grüne Transformation?

FUHRMANN Die einzige daraus erwachsende Chance ist, dass die Transformation in bestimmten Regionen wie der EU zügiger ablaufen wird, weil die wohl mittelfristig andauernde, strukturell begründete Energiemangelsituation in diesen Regionen zu schnellerem Handeln zwingt. Aus der ausschließlich ökologischen Perspektive mag das positiv sein, aus Sicht des Steuerzahlers und der Wirtschaft ist überstürztes Handeln unter massivem Druck eindeutig schädlich. 

Voraussichtlich wird Gas auf absehbare Zeit knapp und teuer bleiben. Was bedeutet das für energieintensive Branchen wie die Metallindustrie und den Maschinenbau?

FUHRMANN Nichts Gutes. Notwendige Voraussetzung für eine planvolle Transformation sämtlicher energieintensiver Branchen in der EU und besonders in Deutschland, wo wir mit dem fast zeitgleichen Ausstieg aus den Energieträgern Kernkraft, Braun- und Steinkohle ein weltweit einmaliges Experiment vollziehen, war die volumenmäßig ausreichende Verfügbarkeit von Erdgas zu im globalen Maßstab wettbewerbsfähigen Preisen. Diese Voraussetzung ist entfallen. Verflüssigtes Erdgas (LNG) wird diese Rolle nicht annähernd einnehmen können. Es ist hinsichtlich der Umwandlungs- und Transportkosten teurer als Pipelinegas. Hinzu kommen die geringere Verlässlichkeit – Schiffe können wie 2022 erlebt ihren Kurs ändern und höheren Preisen entgegenfahren – sowie die ungleich stärkere preisliche Volatilität. 

Inwiefern können die Preisbremsen für Strom und Gas der Industrie in dieser schwierigen Zeit helfen?

FUHRMANN Schirme, Deckel und Bremsen mögen als kurzfristige Krisenreaktionsmechanismen taugen. Dauerhaft fließt das Wasser den Berg nicht hinauf. Will heißen: Staatliche Eingriffe in Form von Dirigismus und Subventionen finden ihre Begrenzungen in WTO-Konflikten mit Handelspartnern und – noch wichtiger – in der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Steuerzahler sowie der Kapazität des Staates, sich mehr und mehr zu verschulden. 

Welche Maßnahmen lohnen sich in puncto Energieeffizienz für Unternehmen allgemein und branchenspezifisch?

FUHRMANN Die Devise lautet, Prioritäten zu setzen und nicht mit der Gießkanne zu subventionieren. Das Verhältnis von Investitionen sowie dem Einsatz grüner Energie in Form von Strom oder daraus entstandenen Derivaten wie grünem Wasserstoff zu der damit erreichbaren Emissionsminderung ist von Branche zu Branche extrem unterschiedlich. Wir sollten, wenn es uns um die schnelle und effektive Minderung des CO2-Ausstoßes ernst ist, dort beginnen, wo es am meisten nutzt. In diesem Sinne ist beispielsweise die Umstellung metallurgischer Prozesse sinnstiftender als die Produktion von Synfuels. 

Darüber hinaus macht es unter den gegebenen und absehbaren Umfeldbedingungen natürlich Sinn, dass Unternehmen ihre individuellen Möglichkeiten zur Energiekostenminderung systematisch checken. Häufig sind noch längst nicht alle kurzfristig und mit überschaubarem Mitteleinsatz hebbaren Potentiale ausgeschöpft. 

Welche weiteren Schritte sind kurzfristig sinnvoll, um die grüne Transformation voranzutreiben?

FUHRMANN Es sollten wohldosierte, nicht Markt und Wettbewerb zerstörende Anreize etwa für den Einsatz grüner Materialien etabliert werden. Contracts for Difference können ein solches Instrument sein. Von dem beabsichtigten EU-Grenzausgleich, d.h. einem Zoll auf – wie auch immer festgestellt – emissionsintensiv hergestellte Produkte aus Drittstaaten halte ich eher wenig. Hier sind Konflikte etwa mit den USA oder China absehbar, welche die EU schwerlich aushalten können wird. 

Beispiel grüner Stahl aus Deutschland – Wie bewerten Sie an den Märkten die Bereitschaft, für ein klimaneutrales Produkt mehr auszugeben?

FUHRMANN Soweit und solange die Wettbewerbsposition der Stahlkunden nicht beeinträchtigt wird, ist diese Bereitschaft tatsächlich vorhanden. Es kommt gerade bei höheren Einsatzquoten entscheidend auf die Einstellung der Endkunden, also der Verbraucher, an. Sind diese bereit – ähnlich wie bei Lebensmitteln – für ein ökologisch höherwertiges Produkt mehr Geld auszugeben, ist das okay. In diesem Punkt bin ich eher optimistisch – unter der Voraussetzung, dass unser Wohlstandsniveau das erlaubt. 

 

Über Prof. Dr.-Ing. Heinz Jörg Fuhrmann:

Prof. Dr.-Ing. Heinz Jörg Fuhrmann wurde nach gut zwölf Jahren bei den Klöckner-Werken 1996 Vorstandsmitglied der Preussag Stahl AG, die zwei Jahre später zur Salzgitter AG umfirmierte. 2011 wurde der promovierte Ingenieur zum Vorstandsvorsitzenden ernannt und gab das Amt 2021 mit einem Rekordergebnis ab. Fuhrmann war bis Ende 2022 Senatsvorsitzender der Fraunhofer-Gesellschaft und ist neben seiner Tätigkeit als Senior Advisor bei Horváth Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes der deutschen Stahlindustrie sowie Mitglied des Klima- und Umweltbeirates der Europäischen Investitionsbank. Er hält mehrere Aufsichtsratsmandate im In- und Ausland. 

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