Interview Christine Hein, CFO von BLG LOGISTICS

„Der Wissenstransfer ins eigene Team ist entscheidend für die Akzeptanz der Transformation“

Christine Hein, CFO von BLG LOGISTICS, verrät im Exklusiv-Interview, wie der Logistikriese, der fast 100 Standorte auf vier Kontinenten unterhält, trotz knapper Ressourcen erfolgreich die SAP S/4 HANA-Transformation gemeistert hat – und dabei nicht nur den geplanten Go-Live-Termin einhalten, sondern fast nahtlos in einen reibungslosen operativen Rhythmus zurückkehren konnte.

Welche Ziele und Erwartungen waren bei BLG LOGISTICS mit der Einführung von SAP S/4 HANA verbunden?

HEIN Ein zentrales Ziel bei BLG LOGISTICS war die Standardisierung von Geschäftsprozessen. Durch die Vereinheitlichung der Prozesse über verschiedene Abteilungen und Standorte hinweg können wir konsistentere und effizientere Abläufe sicherstellen. SAP S/4HANA ermöglicht eine zentrale Datenhaltung, die die Datenqualität verbessert und zu weniger Redundanzen führt. Genaue und zuverlässige Daten sind entscheidend für fundierte Geschäftsentscheidungen. Durch die In-Memory-Technologie sind wir in der Lage, Echtzeiteinblicke zu gewinnen und schneller auf Marktveränderungen zu reagieren. Insgesamt steigern wir unsere betriebliche Effizienz und unsere Wettbewerbsfähigkeit durch eine agile und datengetriebene Entscheidungsfindung. 

Als wie umfassend würden Sie die Veränderung durch das S4-Projekt bewerten?

HEIN Die Veränderung ist relativ groß. Ein wesentlicher Aspekt dieser Veränderung ist der Ersatz eines Tools im Purchase-to-Pay-Prozess, was eine bedeutende Anpassung in unseren operativen Abläufen darstellt. Zusätzlich haben wir eine Vereinheitlichung von Ergebnisstrukturen angestrebt, um konsistente und vergleichbare Daten über verschiedene Geschäftsbereiche hinweg zu gewährleisten. Diese Standardisierung trägt dazu bei, die Transparenz und Effizienz unserer Berichterstattung zu verbessern. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Abrechnung nun direkt in SAP erfolgt.  

Wie fällt die erste Bewertung der Zielerreichung aus, welche Erwartungen haben sich erfüllt bzw. nicht erfüllt?

HEIN Wir sind sehr zufrieden damit, den geplanten Go-Live-Termin erfolgreich eingehalten zu haben, was in anderen SAP-Projekten oft nicht der Fall war. Wir haben es zudem geschafft, schnell in einen funktionierenden operativen Modus zu wechseln. Die Fakturierung läuft reibungslos, wir sind wieder im gewohnten Rhythmus des Ergebnisreportings, und auch der Purchase-to-Pay-Prozess funktioniert, sodass unsere Lieferanten pünktlich bezahlt werden. 

Dies ist besonders bemerkenswert, da die verfügbaren Ressourcen knapp waren. Unsere Mitarbeitenden haben sich extrem engagiert, obwohl wir im Projekt gut ein paar zusätzliche Kräfte hätten gebrauchen können. Allerdings sind wir noch nicht in einem optimalen Zustand angekommen. Es gibt nach wie vor Baustellen und Prozesse, die nicht reibungslos laufen, sowie einen anhaltenden Schulungsbedarf. In Bezug auf die angestrebte Prozessstandardisierung waren wir nicht so erfolgreich, wie ich es mir gewünscht hätte. Dies liegt unter anderem an unserer sehr komplexen Systemlandschaft. 

Mit Blick auf Ihre Erfahrungen: Wie können sich Unternehmen auf die Transformation vorbereiten, damit sie möglichst reibungslos abläuft?

HEIN Ich sehe mehrere Aspekte, die man im Vorfeld des Projektes beachten kann, um den Projekterfolg zu sichern. So sollte die Stammdatenbereinigung VOR Projektbeginn erfolgen, um Verzögerungen und Komplikationen zu vermeiden. Auch die frühzeitige Identifizierung und Schulung der Projektteilnehmenden ist essenziell, damit sie die umfassenden Optionen und optimalen Nutzungsmöglichkeiten des Systems kennen. Dies hilft auch dabei, Sonderlösungen zu identifizieren und zu standardisieren. Des Weiteren sollte die Ressourcenplanung frühzeitig formalisiert werden, was Überlastung und Verzögerungen vorbeugt. Die Prozessvisualisierung ist ein weiterer kritischer Erfolgsfaktor: Bestehende Prozessdokumentationen sollten auf Aktualität überprüft oder, falls es noch keine entsprechende Dokumentation gibt, Ist-Prozesse visualisiert werden. Abschließend empfehle ich, Prozess- und Systemänderungen nicht zeitgleich durchzuführen, da die gleichzeitige Veränderung und Vereinheitlichung von Ergebnisstrukturen eine große Herausforderung darstellt. 

Sobald das Projekt gestartet ist, fehlt die Zeit, sich intensiv mit diesen Punkten zu beschäftigen. Gleichzeitig legen diese Maßnahmen von vornherein eine wichtige Grundlage zum einen für das Change Management und zum anderen für die Abschlussprüfung, wenn der Systemwechsel begutachtet wird. 

Mit Blick nach vorne – welche weiteren digitalen Transformationsschritte planen Sie, und wie bauen diese auf der ERP-Transformation auf?

HEIN Wir planen weitere Schritte in unserer digitalen Transformation, die auf der bereits erfolgten ERP-Transformation aufbauen. Ein wesentlicher Fokus liegt auf der Integration der Abrechnungsprozesse unserer Tochtergesellschaften, die derzeit noch nicht über SAP abgewickelt werden. Diese Integration wird es uns ermöglichen, eine einheitliche und effiziente Abrechnungsstruktur innerhalb des gesamten Unternehmens zu etablieren. 

Darüber hinaus arbeiten wir an der Einführung von SAP Analytics Cloud (SAC) und Group Reporting. Diese Tools werden uns dabei unterstützen, unsere Planungs- und Konsolidierungsprozesse in einer integrierten Umgebung zu optimieren. Ziel ist es, durch den Einsatz dieser Technologien die Effizienz und Genauigkeit unserer Finanzberichterstattung weiter zu steigern und fundierte Entscheidungen auf Basis umfassender Datenanalysen zu treffen. 

Zu guter Letzt: Welche drei Ratschläge würden Sie CFOs geben, die eine SAP S4/HANA-Transformation planen?

HEIN Verstehen Sie den aktuellen SAP-Reifegrad Ihres Unternehmens, indem Sie überprüfen, wie gut Ihre Prozesse dokumentiert sind, ob die Prozessverantwortlichkeiten klar definiert sind und ob bereits eine Key-User-Organisation existiert. Berücksichtigen Sie auch, wann das letzte größere SAP-Projekt durchgeführt wurde. Basierend auf dieser Analyse sollten Sie die Vorbereitungszeit planen. 

Bei einer umfassenden SAP-Transformation ist es außerdem wichtig, die operativen Mitarbeitenden frühzeitig zu informieren und in die Projektorganisation einzubinden. Diese Einbindung erleichtert den Übergang und stellt sicher, dass alle Beteiligten auf dem gleichen Stand sind. 

Und zuletzt: Planen Sie rechtzeitig und ausreichend Ressourcen für das Change Management ein. Es erfordert spezielle Kompetenzen und Zeit, um den Wandel erfolgreich zu gestalten. Der Wissenstransfer in das eigene Team ist dabei entscheidend für die Akzeptanz und Nachhaltigkeit der Transformation. 

 

Über Christine Hein:

Christine Hein ist seit November 2020 Mitglied des Vorstands von BLG LOGISTICS, einem international tätigen Seehafen- und Logistikdienstleister mit Sitz in Bremen. Sie verantwortet dort den Bereich Finanzen. Nach Stationen bei dem Oberhausener Maschinenbauer Babcock Borsig in den 1990er Jahren arbeitete Hein seit 2003 in verschiedenen Bereichen und Gesellschaften des französischen Mineralölkonzerns TotalEnergies. In den Jahren 2015 und 2016 war sie als Vice President Corporate & Project Finance, Refining Chemicals/Marketing & Services der Total SE unter anderem für die finanzielle Analyse und Risikobewertung größerer Investitionen verantwortlich. 

Interview Dr. Karlheinz Hörsting, CEO der E.G.O.-Gruppe

„Mit gemischtem Ansatz waren wir zum Go-live vollumfänglich lieferfähig“

Zum Interview

Praxisbeitrag

Kurs halten und “Katerstimmung” entgegenwirken: Wie Unternehmen in und nach der SAP S/4HANA Transformation erfolgreich optimiere

Zum Artikel