Eine der schwierigsten Entscheidungen in einer SAP S/4HANA-Transformation muss weit vorne getroffen werden, nämlich: Mit welchem Ansatz das Projekt umgesetzt werden soll. Dabei kann man ganz viel falsch machen, aber eben auch ganz viel richtig. Unsere Erfahrungen zeigen, dass häufig nicht genug Aufmerksamkeit auf die Wahl des geeigneten Ansatzes gelegt wird. Die Führungsebene, und damit ist das Top-Management gemeint, muss im Konsens entscheiden, in welchem Umfang die Systemumstellung auch eine Business Transformation sein soll.
Dies ist eine Gratwanderung. Auf der einen Seite stehen Risiken wie hohe Kosten, eine hohe Komplexität oder große Belastung der Organisation. Auf der anderen Seite stehen Nutzen- bzw. Mehrwertpotenziale, etwa zukunftssichere Strukturen, Effizienzsteigerung oder Automatisierung. Dazwischen gilt es, einen ausgewogenen Pfad zu ermitteln. Die Erstellung eines Business Cases für die S/4HANA-Transformation ist dringend zu empfehlen, damit neben den qualitativen auch die quantitativen Aspekte betrachtet werden und fundierte Entscheidungen getroffen werden können.
Zwei Dimensionen zur Entscheidungsfindung
Bei der Wahl des passenden Transformationsansatzes gilt es, folgende Dimensionen für die Transformation zu evaluieren:
1. Organizational Capabilities (Organisatorische Fähigkeiten)
Dies sind interne Kompetenzen (Skills) und Kapazitäten, die es für die Initiierung und Umsetzung der Transformation braucht, sowohl organisatorisch als auch fachlich. Auch Akzeptanz, Motivation oder Agilität der involvierten Teams spielen hier hinein, bis hin zum Commitment des Top-Managements und zur Unternehmenskultur. Wie unsere Studie zeigt, werden die benötigten Kapazitäten häufig unterschätzt, vor allem die Einbindung der IT. Fehlende IT-Unterstützung ist das häufigste Problem bei der Systemumstellung. Fast die Hälfte der bereits transformierten Unternehmen hätte im Nachhinein lieber eine längere Projektlaufzeit angesetzt, und ein Viertel hätte mehr externe Unterstützung eingeplant.
2. Need for Action (Handlungsdruck)
Der Need for Action oder Handlungsdruck kann ein Veränderungsbedarf sein, der beispielsweise durch Marktentwicklungen oder technologische Disruptionen entsteht. Es kann aber auch ein interner Handlungsdruck sein, zum Beispiel eine notwendige Standardisierung nach Zukäufen beziehungsweise Wachstum der Organisation. Manchen Unternehmen bleibt also gar nichts anderes übrig, als Strukturen neu zu gestalten. Während die organisatorischen Fähigkeiten tendenziell überschätzt werden, wird der Handlungsdruck oft unterschätzt – nämlich dann, wenn man sich zu sehr an fachlichen oder technischen Detailanforderungen orientiert und die Geschäftsprozesse nicht an die Marktanforderungen anpasst.
Vier Transformationsansätze stehen zur Auswahl
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Business Redesign beschreibt einen ganzheitlichen Ansatz, mit dem ein hoher Veränderungsgrad und damit einhergehend eine starke Optimierung erzielt werden kann, insbesondere in Prozessen und der Organisation. Voraussetzung dafür sind sehr gute organisatorische Fähigkeiten wie auch externe Ressourcen. Business Redesign birgt einen hohen Aufwand, aber auch einen hohen Nutzen durch die starke Veränderung hin zu zukunftsfähigen Strukturen.
Catch up the Core sind Projekte, die einen geringen Anpassungsbedarf von Prozessen und Organisation erfordern. Dies sind im Wesentlichen IT-getriebene Projekte mit Business-Support. Hier wird mit vergleichsweise geringem Aufwand ein hauptsächlich IT-fokussierter Nutzen herbeigeführt. Dieser Ansatz bringt wenig Optimierung und Mehrwert für die Gesamtorganisation. Dafür sind die Risiken hier deutlich geringer.
Silent and Fast: Hier werden nur selektiv Prozesse stärker verändert, bei gleichzeitig gut ausgestatteten internen Ressourcen und Kompetenzen. Der Ansatz zeichnet sich durch eine pragmatische und rasche Umsetzung mit geringem Risiko aus.
Decouple bezeichnet einen Projektansatz, bei dem hoher Veränderungsbedarf auf limitierte (interne wie externe) Ressourcen trifft. Ein solches Projekt bedarf einer zeitlichen und/oder inhaltlichen Entzerrung, um die Organisation nicht zu überlasten und somit den Projekterfolg zu gefährden.
Wie unsere Studie zeigt, tendieren die meisten Unternehmen zum „Business Redesign“-Ansatz, welcher die Unternehmen am meisten fordert, aber auch den größten Nutzen bringt. Einigen Unternehmen gelingt es, die gesteckten Ziele zu erreichen.
Insbesondere große Organisationen tendieren mehrheitlich zum „Catch up the Core“-Ansatz und versuchen, die S/4HANA-Transformation mit möglichst geringen organisatorischen und prozessualen Auswirkungen zu meistern. Erforderliche Optimierungen und Weiterentwicklungen müssen dann im Nachgang erfolgen.
Es ist aber auch ein Trend zu selektiveren und spezifischeren Ansätzen zu beobachten, wie etwa dem „Silent and Fast“-Ansatz, der vor allem bei mittelgroßen Unternehmen beliebt ist. Damit gelingt es den Unternehmen, die Komplexität zu beherrschen und die Erfolgswahrscheinlichkeit der Transformation zu erhöhen. Decouple als Ansatz kommt in der Praxis derzeit kaum vor, er hätte aber wesentlich mehr Potenzial.
In jedem Fall gilt: Das Top-Management kann (fast) nicht genug Augenmerk auf die Auswahl des am besten geeigneten Ansatzes legen, denn dieser legt den Grundstein für eine erfolgreiche S/4HANA-Transformation in Time, Budget und Quality. In unserem Interview mit Dr. Karlheinz Hörsting von der E.G.O.-Gruppe können Sie nachlesen, wie der Transformationsansatz im Laufe des Projektes erfolgreich adaptiert wurde.
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Christian Daxböck
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