Die digitale Transformation stellt die traditionellen Geschäftsmodelle in allen Branchen auf den Kopf. Unternehmen müssen sich in digitalisierten Ökosystemen positionieren und ihre Organisation und ihr Portfolio dafür weiterentwickeln. Nur wer anders wird, hat auch in Zukunft Erfolg.
Die Digitalisierung verändert alles: wie wir leben, wie wir arbeiten und denken. Das ist keinesfalls neu. Trotzdem gehen viele Unternehmen in Deutschland ihre digitale Transformation zu zaghaft an. Das zeigen unseren Forschungen ganz unabhängig davon, mit welchen Indikatoren wir die „Digital Readiness“ messen. Ob Anzahl und Verbreitung von Innovationsaktivitäten, ob digitale Projekte in Geschäftsberichten, ob technologische Fähigkeiten in Stellenanzeigen oder IT-Kompetenzen des Top-Managements – wir sehen immer das gleiche Bild: Nur eine kleine Spitzengruppe ist ausreichend auf die digitale Transformation vorbereitet. Es herrscht also Nachholbedarf, um die Geschäftsmodelle auf die neuen Anforderungen auszurichten.
Eine naheliegende Option für den Wandel ist es, analoge Geschäftsmodelle auf ihr Potenzial im digitalen Zeitalter zu prüfen und entsprechend anzupassen. Dabei reicht es allerdings nicht aus, traditionelle Hardware-basierte Geschäftsmodelle um digitale Komponenten wie Services zur Datenanalyse oder Remote-Wartung zu erweitern. Für disruptive Innovationen müssen Unternehmen ihren Fokus übers Kerngeschäft hinausrichten. Dabei helfen spezielle Innovationsformate und Kooperationen.
INNOVIEREN MIT LABS UND START-UPS
In einer aktuellen Studie haben wir festgestellt, dass die meisten Top-Unternehmen ihre Innovationsaktivitäten in Innovation Labs oder Digital Labs auslagern. Diese neuen Organisationseinheiten dürfen im geschützten Raum fernab des Alltags an Innovationen und neuen Geschäftsmodellen forschen und experimentieren. Damit versuchen Unternehmen, das „Innovator’s Dilemma“ einer primär inkrementellen Weiterentwicklung zu überwinden. Diese Einheiten, meist in Hotspots wie Berlin und dem Silicon Valley gelegen, brauchen ausreichend Zeit und Ressourcen. Zudem sollten Unternehmen sicherstellen, dass die Ideen nach der Entwicklungsphase in den Kerneinheiten umgesetzt werden. Grundvoraussetzungen für diese Integrationsphase: Produktmanagement und Vertrieb entsprechend zu incentivieren und Projektmanagement-Ressourcen bereitzustellen.
In Zukunft müssen erfolgreiche Unternehmen mit
digitalen Ökosystemen kompatibel sein.
Eine Alternative ist die Kooperation mit Start-ups. Viele Unternehmen setzen auf spezielle Start-up- Programme wie Acceleratoren und Inkubatoren, um junge Unternehmen möglichst früh an sich zu binden. Jedoch entwickeln sich die wenigsten Start-ups zu Einhörnern mit milliardenschwerer Marktbewertung. Die wirklich erfolgreichen zu finden, erfordert einen langen Atem und Investitionen in viele Start- ups. Unternehmen können Aufwand und Risiko minimieren, wenn sie sich in späteren Phasen an den Jungunternehmen beteiligen oder diese komplett übernehmen. Das hat natürlich seinen Preis. Welche Option die bessere ist, lässt sich nicht pauschal sagen. Bei ausreichenden finanziellen Mitteln ist eine Kombination am sinnvollsten.
DER KATEGORISCHE IMPERATIV 4.0
Darüber hinaus müssen sich Unternehmen allerdings noch viel tiefgreifender verändern. Wie die Geschäftsmodelle der Zukunft aussehen, zeigen zum Beispiel die Internet-Giganten Amazon, Apple, Facebook, Microsoft und Tencent. Sie verstehen sich als digitalisierte Ökosysteme, für die es keine Branchengrenzen gibt und die auch die klassische Trennung von Endkunden- und Geschäftskundengeschäft zunehmend aufheben. Sie adressieren die Bedürfnisse der Menschen in den zentralen Lebensbereichen und bieten auf Basis digitaler Technologien vollkommen neue Lösungen hierfür an. Mit immensen Kapitalreserven, einer enormen Reichweite am Markt und Investitionen in die besten Start-ups fungieren diese Player als Taktgeber der neuen „Ökosystem-Ökonomie“. Die Konsequenz: Spätestens mittelfristig müssen sich alle Unternehmen diesen neuen Logiken stellen und entscheiden, wie sie Ökosystem-kompatibel werden. Dazu müssen sie verstehen, welche Rolle sie und ihre Geschäftsmodelle im Kontext zunehmender Kooperationen im Ökosystem spielen. Das ist der neue kategorische Imperativ des „Anderswerdens“.
PROF. DR. JULIAN KAWOHL
ist der einzige ehemalige Strategiechef eines Euro-Stoxx-50-Unternehmens (Landesgesellschaft AXA Deutschland) unter Deutschlands Wirtschaftsprofessoren. Seit 2015 hat er die Professur für Strategisches Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin inne. Er ist Autor von reichweitenstarken Studien und Beiträgen, Keynote Speaker und Moderator von Podiumsdiskussionen sowie Senior Advisor für Unternehmen verschiedener Branchen. Seine Schwerpunkte sind digitales Management, digitale Transformation und digitale Ökosysteme.