Wenn der Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen das 8-Gang-Automatikgetriebe nicht mehr liefern kann, stehen die Bänder bei einigen Automobilkonzernen nach kurzer Zeit still. Um diesen Worst Case zu verhindern, haben Experten von Horváth & Partners die komplexe Supply Chain von ZF auf Risiken hin überprüft und Maßnahmen erarbeitet, um sie robuster zu machen.
Die Lieferkette eines Produktes ist ebenso komplex wie das Produkt selbst. In der Automobilindustrie zum Beispiel hat ein Kraftfahrzeug unzählige Lieferanten rund um den Globus, die ihrerseits mit Zulieferern zusammenarbeiten. Fällt nur ein Glied der Kette aus, kann das zu Produktionsverzögerungen und einem schwerwiegenden wirtschaftlichen Schaden führen. Besonders hoch ist das Risiko bei einer Single-Source-Versorgung, wenn also nur ein Lieferant das benötigte Teil liefern kann. Aber auch eine vermeintlich sicherere Versorgung von mehreren Lieferanten kann ungeahnte Risiken bergen, wenn diese Lieferanten auf denselben Vorlieferanten zurückgreifen oder selbst keine ausreichenden Absicherungsmaßnahmen implementiert haben.
DAS ZIEL: 100 PROZENT VERSORGUNGSSICHERHEIT
„Nur wenige Kfz-Komponenten sind derart komplex wie ein modernes Automatikgetriebe. Für manche Produkte liefern über 100 Tier-2-Lieferanten eine Vielzahl an Komponenten zu“, erläutert Stefan Bultmann, verantwortlich für das Thema Risk Management im Automotive-Center bei Horváth & Partners. Durch diese Komplexität und die sehr hohe Qualität des Produktes liegt in der Regel auch beim 8HP-Automatikgetriebe der ZF Friedrichshafen AG ein Fall der Single-Source-Versorgung bei der Belieferung vieler OEM-Kunden vor. Um zu verhindern, dass ZF – mit 20 Milliarden Euro Einkaufsvolumen und fast 37 Milliarden Euro Umsatz inzwischen die Nummer zwei bei den Tier-1-Suppliern in der Branche – dieses entscheidende Produkt nicht mehr liefern kann, beauftragte der Automobilzulieferer Horváth & Partners damit, ein effizientes und ganzheitliches Supply Chain Risk Management (SCRM) zu entwickeln. Ziel war es, eine 100-prozentige Versorgungssicherheit zu garantieren und gleichzeitig Effizienz- und Kostenbewusstsein zu berücksichtigen. Es galt zudem, die Supply Chain mit einem kooperativen Ansatz zu integrieren und eine standardisierte Methode zu entwickeln, die als Toolbox für künftige Roll-outs auf die gesamte Lieferantenbasis angewendet werden kann.
VERGLEICHBARKEIT VON LIEFERRISIKEN
Gemeinsam mit ZF identifizierten die Experten von Horváth & Partners zunächst potenzielle Risiken. „Wir fertigten ein Mapping der Lieferkette bis zu Lieferanten der Ebenen Tier-2 und -3 an, um Transparenz über Vorlieferanten und Materialflüsse zu bekommen“, berichtet Stefan Bultmann. Dazu wurden alle Bestandteile des Automatikgetriebes analysiert, anhand von neun Risikokategorien – Natur, Produktionsprozesse, IT-Infrastruktur, Finanzen, Sabotage, Feuer & Explosion, Logistik & Bestände, Sicherheit & Politik, Medienversorgung – bewertet und mittels dreier Faktoren gewichtet.
Am Ende dieses Prozessschritts stand mit dem Risk Assessment Indicator (RAI) eine standardisierte Kennzahl zur Risikoidentifikation. Diese ermöglicht vor allem eine belastbare Methodik zur Vergleichbarkeit von Ausfallrisiken verschiedener Lieferanten. Dann identifizierten die Experten von ZF und Horváth & Partners die in diesem Kontext 15 relevantesten Lieferanten aus der großen Anzahl der Supplier.
Der Risk Assessment Indicator ermöglicht
vor allem eine belastbare Methodik zur
Vergleichbarkeit verschiedener Lieferanten.
SINNVOLLE PRIORISIERUNG STATT AD-HOC-MASSNAHMEN
Im Anschluss an die Analyse suchte das Projektteam nach geeigneten Präventivmaßnahmen, um Risiken in der Lieferkette zu beseitigen oder zu verringern. Dazu gehörten neben einfachen Maßnahmen wie der Einführung eines permanenten Monitorings unterschiedlicher Risikoaspekte auch die Vorbereitung von Notfallplänen mit klar festgelegten Verantwortlichkeiten oder technische Lösungen zur Brandfrüherkennung. Bei einigen Lieferanten vor Ort und im Werk von ZF in Saarbrücken wurden die Verfahren erprobt und verfeinert. Wichtig war es auch, bei den Führungskräften der Lieferanten ein umfassendes Verständnis für Risk Management zu schaffen. Auch Tier-3-Lieferanten wurden bei der Lösung einbezogen und arbeiteten aktiv mit. „Allen Beteiligten war die Bedeutung des Themas bewusst und das Feedback zum Vorgehen war durchweg äußerst positiv“, betont Stefan Bultmann.
Für ZF Friedrichshafen war das Projekt ein voller Erfolg. Horváth & Partners erhielt dafür 2018 den Beraterpreis „Best of Consulting“ des Magazins „Wirtschaftswoche“. „Die verwendeten und erprobten Instrumente ergeben eine wirkungsvolle Toolbox, die auch sehr gut auf andere Supply Chains angewendet werden kann. Dabei stellen die Methoden eine übergreifende Weiterentwicklung für das SCRM dar“, erläutert Jochen Kröber, Head of Supply Chain Management, Production & Development bei Horváth & Partners. Es ist sogar bereits in Diskussion, dass das Projekt als Basis für einen vom Verband der Automobilindustrie (VDA) zertifizierten Standard für SCRM dienen soll.
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Stefan Bultmann