Das Energieunternehmen innogy SE schafft mit SAP S/4HANA die Basis für seine Digitalisierung. Im Interview schildert Projektleiter Dr. Ulrich Borgdorf, verantwortlich für den Bereich Services Accounting/Finance bei der innogy, die Erfolgsfaktoren des „s4i-Projekts“, bei dem die agile Steuerung eine Schlüsselrolle spielte.
WARUM HABEN SIE IHR S/4HANA-PROJEKT GESTARTET?
BORGDORF Die innogy SE ist vor zwei Jahren aus einer grundlegenden Reorganisation des RWE Konzerns hervorgegangen und derzeit noch auf verschiedene SAP-Systeme und -Mandanten verteilt. Dies führt insbesondere in den Querschnittsfunktionen zu erheblichem Mehraufwand. Wir haben uns daher entschieden, die innogy mit S/4HANA auf Basis neuester Technologie in einem einzigen ERP-System von Grund auf neu abzubilden. Daraus leitet sich auch der Projektname s4i ab. Mit dem neuen System schaffen wir eine einheitliche Datenbasis und damit eine zentrale Voraussetzung für die digitale Ausrichtung unseres Unternehmens. Darüber hinaus dient das Projekt als Wegbereiter für deutlich höhere Effizienz durch Standardisierung und Optimierung der Prozesse und Systeme. Dabei orientieren wir uns an den SAP Best Practices und bauen die neuen Prozesse auf den SAP-Standardfunktionen auf. Unser Projektmotto lautet: „s4i Einfach | Einheitlich“.
WAS BEDEUTET DAS FÜR IHRE FINANZBUCHHALTUNG?
BORGDORF Zunächst einmal haben wir einen neuen, einheitlichen Kontenplan für alle innogy-Gesellschaften entwickelt. Gleichzeitig stellen wir auf die moderne Ledger-Technik zur Differenzierung der verschiedenen Rechnungslegungssichten um. Hinzu kommt der Belegsplit zur Abbildung der innogy-Segmente. Mit der neuen Einzelpostentabelle für Accounting und Controlling verfügen wir über eine „Single Source of Truth“ für die gesamte Finanzberichterstattung. Zu guter Letzt ändert sich auch die Benutzeroberfläche: Mit SAP Fiori werden wir das neue System überwiegend über Apps und Kacheln im Browser bedienen.
WAS WAR IHRE MOTIVATION, DAS S4I-PROJEKT AGIL ZU STEUERN?
BORGDORF Früher haben wir unsere Projekte nach der Wasserfall-Methode durchgeführt. Diese birgt das Risiko, dass man lange diskutiert und plant, aber schlussendlich wenig erreicht. Bei s4i gehen wir bewusst einen anderen Weg: Wir stützen uns auf die neue SAP-Activate-Methode, die Elemente aus dem agilen Framework „Scrum“ nutzt. Die Methode orientiert sich an den Prozessstandards der SAP Best Practices. Damit ist das Soll-Objekt gleich zu Beginn im Wesentlichen definiert und es werden nur noch Wünsche zur Modifizierung dieser Soll-Prozesse und etwaige zusätzliche Anforderungen diskutiert, nach unserem Grundsatz „Einfach und Einheitlich“ entschieden und für die weitere Umsetzung priorisiert. Ein weiterer Vorteil unserer agilen Vorgehensweise ist die Selbstorganisation der Teams. In unserem Projekt arbeiten rund 200 Personen in 17 Teams, die in dreiwöchigen Arbeitsabschnitten, den Sprints, die geschäftlichen Anforderungen priorisieren, umsetzen und testen. Dank der kurzen Zyklen können wir sehr schnell Ergebnisse im System sehen und bewerten. Dieses regelmäßige Feedback sichert die Qualität und hilft, Zeitplan und Budget einzuhalten. Zudem können wir während der Implementierung flexibel auf sich ändernde oder neue Anforderungen reagieren. Gerade in einem so großen Projekt sind schlichtweg nicht alle Anforderungen von Beginn an bekannt.
WIE KAMEN IHRE TEAMS MIT DEM NEUEN ANSATZ ZURECHT?
BORGDORF Für die meisten Projektmitarbeiter war agiles Arbeiten bis dato unbekannt. Daher bedurfte es einer Eingewöhnungsphase von mehreren Wochen mit entsprechend eingeschränkter Produktivität. Durch gezielte Schulungen und den Einsatz von Scrum-Coaches haben wir bestehende Unsicherheiten aus dem Weg geräumt. Inzwischen haben die Teams die agile Methodik verinnerlicht und in ihren Arbeitsalltag integriert, sodass deren Vorteile nun voll zum Tragen kommen.
WIE FÜHREN SIE DIE ANWENDER IN DIE NEUE WELT VON S/4HANA EIN?
BORGDORF Parallel zur Implementierung haben wir ein bedarfsspezifisches Qualifizierungskonzept für die verschiedenen Anwendergruppen entwickelt. Mit unterschiedlichen Schulungsmethoden wie Präsenzveranstaltungen, Webinaren und E-Learnings transferieren wir derzeit das Wissen zum neuen S/4-System in die Organisation. Parallel dazu begleiten wir den Umstellungsprozess durch eine Reihe von Change-Management-Maßnahmen.
WO STEHEN SIE AKTUELL?
BORGDORF Die Vorbereitungen für den Produktivstart sind weitgehend abgeschlossen. Hier hat sich bewährt, dass wir von vornherein die Entwicklungsphase auf den Zeitraum bis Ende September begrenzt haben. So konnten wir uns in den letzten zweieinhalb Monaten auf das umfangreiche Test- und Abnahmeprogramm sowie die Schulung der Anwender fokussieren. Die Zeit zwischen den Feiertagen werden die IT-Experten für die noch erforderlichen technischen Migrationsschritte nutzen.
WIE GEHT ES NACH DEM PRODUKTIVSTART WEITER?
BORGDORF In den ersten Monaten nach dem Produktivstart werden wir das System in der „Hypercare“-Phase unter Einsatz intensiver Betreuung und zusätzlicher Schulungen in den Regelbetrieb überführen. Anschließend werden wir weitere Gesellschaften der innogy-Gruppe auf das S/4-System migrieren. Dazu entwickeln wir aktuell einen Migrationsplan, der die Migrationscluster und -termine für das Jahr 2019 festlegt. Mit dem letzten Go-live-Termin am 1. Januar 2020 endet das s4i-Projekt in der bisherigen Ausbaustufe.