Doch welche konkreten Standortoptionen gibt es für die Automatisierungsindustrie in Lateinamerika?
Wendet man den Blick in Richtung Lateinamerika, fällt schnell auf: hier locken Länder mit attraktiven Produktionsbedingungen – und das nicht zu knapp. Insbesondere Mexiko und Brasilien, die in der lateinamerikanischen Region zu den stärksten und größten Volkswirtschaften zählen, überzeugen im internationalen Wettbewerb mit ihren sehr individuellen Standortvorteilen.
Um global wettbewerbsfähig zu bleiben und gleichzeitig den entscheidenden Zugang zum amerikanischen Markt zu verbessern, ist es unerlässlich, dass Automatisierungsunternehmen in Lateinamerika investieren und ihre Präsenz vor Ort stärken.
Strategische Hypothese
Made in Mexico – der attraktive Nachbar der Vereinigten Staaten
Einige deutsche Automatisierungsunternehmen, wie u.a. Kuka & Balluff, machen es bereits vor und bauen ihre Produktionsstandorte in Mexiko weiter aus.
Mexikos größter Trumpf in puncto Standortattraktivität ist die geografische Nähe zu den USA, der größten Volkswirtschaft der Welt. Auch wenn das Verhältnis zwischen den beiden Nachbarn, insbesondere während der Amtszeit von Präsident Donald Trump, immer wieder von Spannungen gekennzeichnet war, verbindet die beiden Länder weitaus mehr als nur eine gemeinsame Landesgrenze.
Bereits seit der Einführung des Handelsabkommen NAFTA („North American Free Trade Agreement“) befindet sich Mexiko in einer Freihandelszone mit den USA und Kanada, wodurch Barrieren abgebaut und der Handel zwischen den Ländern intensiviert wurden. Das NAFTA-Abkommen wurde im Juli 2020 durch das USMCA („United States-Mexico-Canada-Agreement“) abgelöst, das protektionistischer ausgerichtet ist und die inländische Produktion der USA fördern soll. Jedoch gehen noch immer knapp 80 Prozent der mexikanischen Exporte in die USA, womit Mexiko das größte Importland der USA darstellt.
Somit wird Mexiko zur verlängerten Werkbank der USA, insbesondere für Produkte mit einer niedrigen bis mittleren Wertschöpfungstiefe. Die reduzierten bzw. entfallenden Import- und Exportzölle, die durch die Freihandelszone entstehen, können sich neben Kanada und den USA auch ausländische Unternehmen zu Nutze machen, indem sie ihre Produktion nach Mexiko verlagern und die Erzeugnisse in die USA oder andere Teile der Welt exportieren. Neben der Zollbefreiung durch das Freihandelsabkommen winkt in Mexiko jedoch noch ein weiterer lukrativer Produktionsanreiz in Form einer Sonderwirtschaftszone – die Maquiladoras.
Maquiladoras – kostenorientierte Produktion im mexikanischen Grenzsaum
Maquiladoras bezeichnen Fabriken, die im mexikanischen Grenzsaum entlang der US-amerikanischen Grenze angesiedelt sind und unter der Leitung multinationaler Unternehmen produzieren. Dabei handelt es sich um die Verbauung und Endmontage importierter Vorprodukte, die dann als Fertigerzeugnisse zollfrei in die USA (re)importiert oder auf dem Weltmarkt verteilt werden.
Das Geschäft der Maquiladoras ist dabei stark auf die enge Beziehung zum Mutterkonzern ausgerichtet, da die kapitalintensiven Einzelteile auf amerikanischer bzw. ausländischer Seite gefertigt und anschließend in mexikanischen Fabrikhallen zusammenmontiert werden. Durch die geringen mexikanischen Löhne, die mit umgerechnet 13,29 Euro pro Tag inzwischen oftmals unter den chinesischen (starke regionale Unterschiede) liegen und die zollfreie Reimportierung in die USA können Herstellungskosten massiv gesenkt werden. Weitere Steueranreize für Maquiladoras sind die Befreiung von der Körperschaftssteuer und der Mehrwertsteuer sowie zusätzliche Abzüge für Lohnkosten, die in der Steuererklärung geltend gemacht werden können.
Ob es sich bei einer Fabrik tatsächlich um eine Maquiladora handelt oder nicht, wird durch das Mexican Secretary of the Economy festgelegt. Die offizielle Bezeichnung ist insofern wichtig, als dass nur rechtmäßige Maquiladoras dazu legitimiert sind, zollfrei aus dem Ausland zu importieren und oben genannte Steuervorteile zu nutzen.
Neben den wirtschaftlichen Vorteilen einer Investition in Maquiladoras müssen Manager jedoch Reputationsrisiken beachten. Wegen den niedrigen Umweltstandards vor Ort stehen Investitionen häufig in öffentlicher Kritik. Insbesondere Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt innerhalb der Lieferkette angehalten sind, müssen daher besonderes Augenmerk auf Arbeitsbedingungen innerhalb der Maquiladoras legen.
Neben dem Humankapital und den Zollvergünstigungen, die Mexiko als Produktionsstandort besonders attraktiv machen, sind es insbesondere die protektionistischen und Subventionsmaßnahmen der USA, von denen der lateinamerikanische Nachbar profitiert und so ausländische Investoren anlockt. Hierbei muss jedoch berücksichtigt werden, dass wirtschaftspolitische Maßnahmen stark an die jeweils amtierende Regierung gekoppelt sind und daher nur kurz bis mittelfristig garantiert werden können. Es wird sich zeigen, inwiefern die US-Präsidentschaftswahlen im Herbst 2024 bestehende Subventionsprogramme beeinflussen.
Brasilien – Vereinigung von Innovation und Ressourcenreichtum
Aktuell ist in kaum einem anderen G20-Staat die Gewinnung erneuerbarer Energien so kostengünstig wie in Brasilien. Dieses Phänomen lässt sich maßgeblich auf die natürlichen Ressourcen wie die schier unendlichen Bodenschätze Wasser, Wind, Sonne und Biomasse zurückführen, die in Brasilien dank der geografischen Gegebenheiten weitreichend vorhanden sind. Dieses einzigartige Potenzial macht das Land zu einem der wohl aussichtsreichsten Lieferanten für grünen Wasserstoff und weitere erneuerbare Energieträger. Der Transport von Energie in die etablierten Industrieländer ist jedoch mit hohen Energieverlusten verbunden, weswegen es effizienter erscheint, energieintensive Prozesse direkt in Brasilien anzusiedeln.
Powershoring in Brasilien
Powershoring beschreibt die Verlagerung von Produktionsstätten in Länder, die günstige, erneuerbare Energien in großen Mengen bereitstellen. Auf diese Weise können Unternehmen ihre Fertigung nutzen, um ihren CO2- Fußabdruck kostengünstig zu reduzieren. Insbesondere für Industrien, die unter hohem Kostendruck stehen und gleichzeitig strenge Umweltauflagen erfüllen müssen, ist dies eine Möglichkeit, die Supply Chain zu dekarbonisieren und sich im gleichen Atemzug globaler aufzustellen.
Positiv hinzu kommt, dass Brasilien erneuerbare Energien aus verschiedenen Quellen bezieht und dadurch nicht von bestimmten Wetterverhältnissen oder Jahreszeiten abhängig ist. Im Jahr 2022 konnte das Land 92 Prozent des genutzten Stroms über erneuerbare Energien erzeugen, wobei die wichtigsten Formen der Energiegewinnung die Folgenden sind:
Dem Ressourcenreichtum und den geografischen Vorteilen Brasiliens stehen jedoch auch Nachteile gegenüber, wie unter anderem die „Custo Brasil“. Damit sind erhöhte Betriebskosten gemeint, die auf länderspezifische Gegebenheiten zurückzuführen sind. Hierzu zählen beispielsweise hohe Steuern, eine komplexe Bürokratie, mangelhafte Logistik oder auch die geringe Rechtssicherheit.
Nichtsdestotrotz konnte das Land durch kapitalintensive Investitionen in den vergangenen Jahren stark industrialisiert werden. Dies erhöht die Standortattraktivität für heutige Investoren wegen nutzbarer Netzwerkeffekte zu bestehenden Unternehmen und einer besseren Verfügbarkeit von Fachkräften. Einige deutsche Unternehmen aus dem Bereich Maschinenbau und Automatisierungstechnik sind bereits in Brasilien ansässig, wie z.B. Bosch oder Festo, die in Sao Paolo sowohl eine Vertriebsgesellschaft als auch ein Produktionswerk und Logistiklager aufgebaut haben.
Destination Showdown: US-Markt-Zugang in Mexiko oder günstige Dekarbonisierung in Brasilien?
Blickt man auf die wesentlichen Punkte, die bei der Bewertung der Produktionsstandorte eine Rolle spielen, fällt schnell auf, dass die beiden Länder in unterschiedlichen Dimensionen überzeugen und ansonsten ähnliche Rahmenbedingungen bieten.
Sowohl Mexiko als auch Brasilien überzeugen mit überwiegend ausgeglichenen politischen Systemen. Auch die beiden Landeswährungen Peso und Real weisen bereits seit längerer Zeit eine gewisse Stabilität gegenüber dem US-Dollar auf. Hinzu kommen die niedrigen Produktionskosten, was sich darin widerspiegelt, dass unter anderem die Automobilindustrie hohe Investitionen in Mexiko und Brasilien tätigt.
Pauschal lässt sich daher nicht sagen, welches der beiden Länder sich besser als Produktionsstandort für Automatisierungsunternehmen eignet. Viel eher muss sich jedes Unternehmen die Frage stellen, welcher der beiden großen Kostenhebel
- steuerliche Vorteile durch Zugang zur Freihandelszone in Mexiko
- günstige erneuerbare Energie in Brasilien
von größerer Bedeutsamkeit für den zukünftigen Unternehmenserfolg ist.
Eine zunehmende Präsenz multinationaler Player erzeugt im besten Fall in beiden Ländern eine Win-Win-Situation: zugewanderte Unternehmen profitieren von standortspezifischen Vorteilen und potenziellen Synergieeffekten aus Clustern, wohingegen die lateinamerikanischen Staaten ihre wirtschaftliche Position durch die industrielle Erschließung weiter ausbauen.
Kittelberger, D. / Rosenstiel, P.