Gekürzte Fassung eines am 04.04.2025 in der WirtschaftsWoche erschienen Interviews
Grüner Stahl, graue Realität
Industrie-Insider und Horváth Senior Advisor Heinz Jörg Fuhrmann, ehemaliger CEO der Salzgitter AG, zur Zukunft der deutschen Stahlindustrie
WirtschaftsWoche: Herr Fuhrmann, als Chef der Salzgitter AG wollten Sie die Dekarbonisierung der Stahlindustrie noch aktiv vorantreiben. Inzwischen blicken Sie pessimistischer auf die Zukunft des „grünen Stahls“. Wie kommt's?
Heinz Jörg Fuhrmann: Als Olaf Scholz noch Finanzminister war, habe ich ihm als seinerzeitiger Salzgitter-Chef einmal gesagt: Ich hoffe, Ihnen ist bewusst, dass wir die Transformation in Richtung Wasserstoffdirektreduktion nur dann hinbekommen werden, wenn wir für die nächsten zwei Jahrzehnte über große Mengen an Erdgas verfügen. Und zwar zuverlässig und zu weltweit wettbewerbsfähigen Preisen. Scholz stimmte mir damals zu. Das war vor vier Jahren. Nun: Wo stehen wir heute?
Es gibt heute jedenfalls kein günstiges Erdgas mehr.
Heinz Jörg Fuhrmann: Eben. Je nach Weltanschauung kann man dafür Herrn Putin, Herrn Selenskyj oder Herrn Biden verantwortlich machen. Fest steht: Die Verhältnisse haben sich geändert. Und die Perspektiven für CO2-freien Stahl haben sich stark eingetrübt. Weswegen ich heute sage: Ich glaube an den grünen Stahl nach deutschem Reinheitsgebot genauso viel und ebenso wenig wie an die Unfehlbarkeit des Papstes.
Das heißt, wir bleiben bei der dreckigen Kohle?
Heinz Jörg Fuhrmann: Nein. Aber wir müssen uns von diesem Absolutheitsanspruch lösen. Wir müssen bereit sein, auch Stahl mit 60 oder 70 Prozent weniger CO2 als „grünen Stahl“ zu akzeptieren. Zumindest für eine Weile. Wir müssen technologieoffener werden, um eines Tages vielleicht günstigen Atomstrom mit Small Modular Reactors erzeugen zu können. Und wir müssen über CCS in der Stahlherstellung nachdenken, also die Abscheidung und Speicherung von CO2 aus Erdgas oder Kohle.
Mehr Technologieoffenheit allein wird die Stahlindustrie in Deutschland aber kaum langfristig retten, oder?
Heinz Jörg Fuhrmann: Nein. Was völlig klar ist: Wenn wir kurzfristig, inmitten dieser Transformation, der freien Wildbahn des globalen Wettbewerbs ausgesetzt wären, könnten wir nicht bestehen. Insofern muss die notwendige Frage lauten: Was ist dem Staat diese Industrie wert?
Offenbar einiges: Ihr ehemaliger Konzern Salzgitter hat ja schon eine Milliarde Euro an Subventionen erhalten für eine klimafreundliche Direktreduktionsanlage.
Heinz Jörg Fuhrmann: Energieintensive Unternehmen brauchen allzumal inmitten der Energiewende eine gewisse staatliche Hilfe. Ich verstehe jedoch nicht die meines Wissens völlig disproportionale Höhe der Fördersummen: Salzgitter bekommt eine Milliarde Euro für knapp 2 Millionen Tonnen Jahreskapazität. Thyssen-Krupp dagegen zwei Milliarden für 2,5 Millionen Tonnen und Saarstahl/Dillingen 2,6 Milliarden für 3,5 Millionen Tonnen. Und dann gibt es noch eine zweite Art der Wettbewerbsverzerrung: Mittelständische Langprodukthersteller praktizieren schon seit 100 Jahren das ewige Recycling von Schrott im Elektro-Lichtbogenofen. Die werden vielleicht zukünftig verschwinden, weil sie mit solchen Stahlkonzernen konkurrieren, deren Umstieg auf die Elektrostahl-Route massivst subventioniert werden soll. Das ist doch nicht nur ökonomisch ein Riesenrückschritt, sondern auch ökologisch.
Weitere Hilfestellung ist in Sicht: Vergangene Woche hat die EU-Kommission einen Aktionsplan Stahl vorgestellt. Auch die voraussichtlich nächste Bundesregierung hat mit ihrem Sondervermögen Infrastruktur ein Hoffnungssignal an die Branche gesendet.
Heinz Jörg Fuhrmann: Ja, absolut. Wobei: Sondervermögen ist ja ein ziemlicher Euphemismus. Es sind Sonderschulden, die von unserem kommenden Bundeskanzler Friedrich Merz unter Beachtung eines Spruches von Konrad Adenauer durchgewunken wurden: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Mir wäre es lieber gewesen, wir wären mit etwas mehr Disziplin und Augenmaß vorgegangen.
Als jemand, der der Stahlbranche seit Jahrzehnten verbunden ist, werden sie aber doch auch ein bisschen Freude empfinden.
Heinz Jörg Fuhrmann: Für die Stahlindustrie bedeutet das Sondierungspapier eine sehr positive Botschaft, ja. Übertragungsnetzentgelte halbieren, zum Beispiel. Das ist die einfachste Möglichkeit, die Strompreise in eine positive Richtung zu bewegen, auch wenn sie im Weltmaßstab sicher immer noch nicht wettbewerbsfähig werden. Ich bin außerdem der Auffassung, dass Übertragungsnetze der Daseinsvorsorge der Gesellschaft dienen und eigentlich nicht in Privathand gehören.
Sie wünschen sich also eine Verstaatlichung der Übertragungsnetze?
Heinz Jörg Fuhrmann: Ja, ich würde eine Verstaatlichung unterstützen. Netzbetreiber sind keine dynamisch am Markt agierenden Unternehmen. Stromnetze sind Basis-Infrastruktur, wie Wasserleitungen, die werden auch von kommunalen Regieunternehmen betrieben. Wieso sollte der Steuerzahler für die nahezu risikofreie Rendite privater Netzbetreiber aufkommen müssen? Dann lieber direkt verstaatlichen.
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Quelle: WirtschaftsWoche: „Ex-Salzgitter-Chef sieht Übernahme als ‚Chance auf etwas sehr Gutes‘“, 04.04.2025.