Automation Insights

Resilienz um jeden Preis? Darum sollten Automatisierungsunternehmen ihre Lieferketten ganzheitlich betrachten

Unternehmen der Automatisierungsbranche stehen vor neuen Herausforderungen. Handelskonflikte und Zölle, Folgen des Klimawandels und kriegerische Auseinandersetzungen – um nur einige Beispiele zu nennen – können für stockende Lieferketten sorgen. Infolgedessen wird es für Unternehmen schnell zur Herausforderung, Produktionskapazitäten valide zu planen, auszulasten und eine termingerechte Lieferung sicherzustellen. Resilienz in der Lieferkette kann das Risiko minimieren und Unternehmen widerstandsfähiger gegenüber unvorhergesehenen Ereignissen machen. Dabei sollten Automatisierungsunternehmen jedoch weitere Aspekte nicht außer Acht lassen.

Belastung globaler Lieferketten durch äußere Einflüsse

  • Rohstoffknappheit: Insbesondere Kupfer ist aufgrund gestiegener Nachfrage und Produktionskürzungen, z.B. in Chile, knapp. 
  • Volatile Preise: Preissteigerungen und unsichere Beschaffungsmärkte erschweren das Einkaufsmanagement und erfordern mehr Kapital für die Lagerhaltung. 
  • Sonderereignisse: Die COVID-19-Pandemie führte zu Produktionsanpassungen und Transportkapazitätsreduktionen. Ereignisse wie die Suez-Kanal-Blockade und Angriffe auf Handelsrouten zeigten die Instabilität der Lieferketten. 
  • Internationale Politik: Politische Einflüsse wie der „Inflation Reduction Act“ der USA, der Ukraine-Krieg und Veränderungen von Handelsabkommen und Zöllen beeinflussen die Lieferketten erheblich. 

Zusätzliche Resilienzkosten müssen gegen Liefertreue und Kundenzufriedenheit abgewogen werden – Automatisierungsunternehmen müssen eine Balance zwischen Resilienz und höchstmöglicher Effizienz in der Lieferkette erreichen!

Strategische Hypothese

Lieferketten-Resilienz und die Trade-offs

Angesichts der vielseitigen Herausforderungen versuchen Unternehmen der Automatisierungsbranche ihre Lieferketten zu verschlanken, sich regionaler aufzustellen und Abhängigkeiten von einzelnen Akteuren in den Lieferketten zu verringern. Hier einige erfolgreich umgesetzte Beispiele: 

In the region for the region – Der Trend zur Regionalität 

Um auch in Krisenzeiten stabile und anpassungsfähige Lieferketten nutzen zu können, setzen Unternehmen zunehmend auf Regionalisierung. Hier werden Produktionen oder Services in die Nähe der Zulieferer oder der Kunden verlagert. Durch die Regionalisierung können sich Unternehmen unabhängiger von internationalen Veränderungen und Blockaden bestimmter Handelsrouten aufstellen.  

ABB: ABB investierte 170 Millionen US-Dollar in den USA, um näher am Kunden zu sein. Die Investitionen in die regionalen Standorte sollen den Kunden nicht nur Sicherheit in Bezug auf die Lieferkette bieten, sondern ABB verkürzte dadurch auch Lieferzeiten um bis zu 50 Prozent. ABB erzielt nun 85 Prozent des Umsatzes in den USA mit Produkten, die regional gefertigt werden und unterstützt somit den Trend zur Regionalisierung. 

Festo: Festo investiert im Zuge der „Local for Local“-Strategie in eine verstärkte Regionalisierung der Produktion. So wurde ein neues Werk in Indien zur Absicherung der Lieferkette und Versorgung für den gesamten asiatischen Markt errichtet. Aber auch mit einem Produktionsstandort in der Türkei und einem Logistikneubau im Saarland soll der europäische Markt durch lokale Standorte versorgt werden. Wichtige Entscheidungsfaktoren waren neben der optimalen Versorgung der Kunden durch kurze Lieferzeiten und hohe Produktverfügbarkeit auch die Steigerung der Resilienz und die Reduzierung von Emissionen. 

Während Regionalisierung zum Vorteil hat, dass Transportwege zwischen Produktionsstätten und bestimmten Kunden oder Rohstoffproduzenten kürzer werden, kann der Transportweg zu anderen länger und damit teurer werden. Zudem sind Regionalisierungen von Produktionsanlagen oft mit hohen Investitionen verbunden und können zu langfristig gebundenem Kapital führen. Dies stellt insbesondere in Ländern, die von politischen Instabilitäten geprägt sind, ein erhöhtes Risiko dar. Des Weiteren müssen bei einer Regionalisierung neue Fachkräfte angeworben und ausgebildet oder aufgebaut werden. Entscheidend für die Standortwahl ist demnach nicht nur die Nähe zu den relevanten Absatzmärkten, sondern auch der kostengünstige Zugang zu benötigten Ressourcen und Kompetenzen sowie die politische Stabilität. 

Lieferantendiversifikation – Aber nur unter Abwägung aller Faktoren 

Eine Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten kann Lieferengpässe verschärfen.  

Eine Diversifizierung der Lieferkette steht häufig im Fokus der Unternehmen. Trotz der vielen Vorteile, sollten der Aufwand sowie die Herausforderungen, die damit einhergehen, nicht unterschätzt werden. Auch die Umstellung zum „Multi-Sourcing“ ist mit Kosten für Analysen, Aufbau und Qualitätskontrollen neuer Lieferanten verbunden. Die Liste der Hürden ist lang und erfordert eine genaue Abwägung zwischen Kosten und Nutzen bei der Beurteilung, welcher Grad an Diversifizierung in der Lieferkette für das Unternehmen vorteilhaft ist. Dennoch ist klar, eine Diversifizierung der Lieferkette bietet viele Vorteile. So hatte Emerson im Geschäftsbericht von 2023 beschrieben, zunehmend gezielt verschiedene Bezugsquellen für wichtige Komponenten und Rohmaterialien aufzubauen, um Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten zu vermeiden. 

Kurzfristig kann auch ein Aufbau von Lagerbeständen die Resilienz erhöhen. Da auch dies mit zusätzlichen Kosten verbunden ist, sollte eine langfristige Strategie entwickelt werden. So kann die optimale Balance zwischen Resilienz und Kosteneffizienz gefunden werden, um sich optimal für die Zukunft auszurichten.

Die W-Fragen der Lieferkette

Für die Überprüfung und Verbesserung der Resilienz der eigenen Lieferkette, sollten sich Unternehmen folgende Fragen stellen: 

  • Welche Komponenten und Ressourcen sind für die größten Abhängigkeiten verantwortlich? 
  • Wie schnell kann auf alternative Beschaffungsquellen zugegriffen werden? 
  • Welche Kosten sind mit einer Verbesserung der Resilienz verbunden? 
  • Wie kann die Entwicklung der Resilienz nachvollzogen werden? 

Lieferketten – Ein stetiger Balanceakt

Um für die Zukunft gut aufgestellt zu sein, müssen Unternehmen der Automatisierungsbranche Resilienz in ihrer Supply Chain schaffen, jedoch nicht um jeden Preis. Häufig stehen sich verschiedene Entscheidungsdimensionen gegenüber und die optimale Gestaltung der Lieferkette erfordert eine genaue Analyse der Ausgangssituation und der möglichen Handlungsoptionen. Der Aufbau einer resilienten und kosteneffizienten Supply Chain erfordert daher eine ganzheitliche Betrachtung, indem die relevanten Einflussfaktoren systematisch identifiziert und bewertet werden, um darauf aufbauend die richtigen Maßnahmen abzuleiten. 

Kittelberger, D. / Knebel, S.