Doch was sind die Hauptgründe für diesen Wandel, der nicht nur die Geschäftsstrategien multinationaler Unternehmen beeinflusst, sondern auch die globale wirtschaftliche Landschaft prägt und politische Implikationen hat?
Verwundbarkeit globaler Lieferketten durch die Abhängigkeit von China
Die COVID-19-Pandemie offenbarte die Verwundbarkeit globaler Lieferketten, insbesondere aufgrund der langanhaltenden „Null-COVID“-Politik der chinesischen Regierung. Diese Politik führte zu Lieferengpässen und Produktionsstörungen im weltweiten Güterangebot und verdeutlichte die starke Abhängigkeit zahlreicher deutscher Unternehmen von chinesischen Lieferungen.
Die zunehmende aggressive Haltung Chinas in geopolitischen Konflikten hat die globalen Spannungen zwischen den großen Handelspartnern Europäische Union, den USA und China verschärft und eine Neubewertung der Risiken und Chancen chinesischer Produktionsstandorte nötig gemacht. Eine Eskalation zwischen China und den Anrainerstaaten hätte weitere Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit bestehender, meist China-zentrierter, Wertschöpfungsketten Südostasiens.
Steigende Arbeitskosten in China
Der Anstieg der Arbeitskosten trägt dazu bei, dass China als Produktionsstandort weiter an Attraktivität verliert. Die durchschnittlichen jährlichen Löhne in China sind von etwa 5.400 US-Dollar im Jahr 2010 auf 16.144 US-Dollar im Jahr 2020 gestiegen, was die Herstellungskosten erhöht und die Gewinnmargen für Unternehmen verringert. Zusätzlich verzeichnete China im Jahr 2016 erstmals einen Rückgang der Produktionsleistung, der seitdem anhaltend ist und voraussichtlich weiter zunehmen wird.
Die oben genannten vielfältigen Herausforderungen zwingen multinationale Unternehmen dazu, ausländische Direktinvestitionen in China zurückzuziehen. Auch die CxO-Studie von Horváth zeigt, dass China nicht mehr der führende Einkaufs- und Produktionsstandort in Asien ist. Um Risiken zu reduzieren, werden vermehrt Investitionen in andere asiatische Regionen verlagert, was sich in der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung bestätigt. Bereits jetzt haben Unternehmen begonnen, China zu verlassen.
Vor diesem Hintergrund werden zwei Produktionsstandorte für deutsche Unternehmen in der Automatisierungsbranche in Südostasien attraktiv:
Automatisierungsunternehmen müssen, wenn sie China bedienen wollen, in Vietnam oder Indonesien investieren und dort Kapazitäten aufbauen.
Strategische Hypothese
Vietnam – Ein aufstrebender Produktionsstandort für die Automatisierungsbranche
Vietnam hat in den vergangenen Jahren eine beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung genommen, die von mehreren Schlüsselentwicklungen geprägt ist:
- Stetiges Wirtschaftswachstum: Vietnam verzeichnet ein bemerkenswertes wirtschaftliches Wachstum mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate des GDPs von etwa 6,66 Prozent, trotz der Herausforderungen der COVID-19-Pandemie.
- Ausbau Infrastruktur: Das Land konnte seine Exporte aufrechterhalten und erhielt hohe ausländische Investitionen. Innerhalb kürzester Zeit gelang es Vietnam, seine Infrastruktur zu stärken, was sich nun durch eine Positionierung auf dem 39. Platz im World Bank Logistics Performance Index widerspiegelt.
- Aufsteigender Technologiesektor: Der aufsteigende Technologiesektor hat eine Schlüsselrolle bei der Steigerung der Innovationskraft des Landes gespielt. Die Innovationskraft befindet sich auf mittlerem Niveau mit positiver Tendenz.
- Eingeführte Freihandelsabkommen: Vietnam hat zahlreiche Freihandelsabkommen abgeschlossen, darunter das „Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership“ und das „EU-Vietnam Free Trade Agreement“, um Handelsbarrieren abzubauen.
Trotz dieser positiven Entwicklungen bleibt die Korruption ein Problem, welches das Investitionsklima in Vietnam beeinflusst. Laut „Corruption Perceptions Index“ belegt das Land den 77. Platz. Eine weitere Herausforderung stellen Umweltaspekte dar: Der CO2-Ausstoß des Landes ist durch verstärkte Industrieaktivitäten, besonders im High-Tech-Sektor, massiv gestiegen. Obwohl Maßnahmen eingeführt wurden, um einen effektiven Umweltschutz zu fördern, ist es noch ein langer Weg zur Erreichung umfassender Umweltschutz- und Nachhaltigkeitsziele.
Attraktive urbane Zentren wie beispielsweise Hanoi, Nam Định und Haiphong wachsen im Industriebereich signifikant. Während im südlichen wirtschaftlichen Zentrum Ho Chi Minh Stadt das produzierende Gewerbe lediglich 18 Prozent der Wirtschaftsleistung generiert, sind 73 Prozent der nationalen Elektronikindustrie und 43 Prozent der Automobilindustrie im nördlich gelegenen Delta des Roten Flusses zentriert. Die Infrastruktur wird massiv erweitert, sodass allein die Stadt Haipong 6 Milliarden US-Dollar in den Bau neuer Brücken investierte. Der Hafen der Stadt, der bereits der drittgrößte Güterhafen des Landes mit einem jährlichen Durchsatz von 5,7 Millionen TEU-Containern ist (zum Vergleich: Im Jahr 2021 verzeichnete der Hamburger Hafen 8,7 Millionen TEU-Container), wird um zwei weitere Tiefwasserterminals erweitert. Dieser wirtschaftliche Aufschwung manifestierte sich in einer Wachstumsrate der Stadt von 12,38 Prozent in 2021. Ausbildung und Forschung werden in der führenden Universität des Landes, der Hanoi University of Science and Technology, betrieben. Das Lieferantennetzwerk wird durch staatliche Subventionen von unterstützenden Industrien im produzierenden Gewerbe gestärkt, z. B. in Form von Zinszuschussregelungen mit einem Gesamtvolumen von 1,75 Milliarden US-Dollar für die Periode 2022-2023.
Zahlreiche Automatisierungsunternehmen haben bereits in Vietnam ihren Sitz
Vietnam verzeichnet ein starkes Wachstum in der Elektronikindustrie und der Halbleiterfertigung, wobei hohe Investitionen aus dem Privatsektor getätigt werden. Samsung beispielsweise investierte im Jahr 2022 etwa 800 Milliarden US-Dollar in die Halbleiterindustrie am Standort Thai Nguyen. Dies führte zur Verringerung der Abhängigkeit von China. Bereits 50 Prozent der von Samsung hergestellten Smartphones stammen aus den vietnamesischen Werken. Samsung erwägt, weitere Diversifikationsstrategien in anderen Ländern wie Brasilien, Indien, Indonesien und der Türkei zu prüfen, um Produktions- und Lieferkettenstrukturen zu variieren und sich vor potenziellen Risiken zu schützen. Foxconn, ein wichtiger Apple-Zulieferer plant, 300 Millionen US-Dollar in die Erweiterung seiner Produktionsanlagen in Nordvietnam zu investieren. JPMorgan, eine führende US-Investmentbank, prognostiziert, dass Chinas Produktionsanteil an Apple-Produkten bis 2025 von 95 Prozent auf 75 Prozent sinken wird. Bereits jetzt erfolgt die Herstellung verschiedener Apple-Produkte, wie AirPods und Apple Watch, in Vietnam. Laut Experten könnten diese Verlagerungsprozesse etwa acht Jahre in Anspruch nehmen, um lediglich 10 Prozent der Produktion von China nach Vietnam zu verlagern. Auch andere Unternehmen aus dem Bereich der Automatisierungsindustrie, wie Festo, Rockwell Automation und Bosch Rexroth, sind bereits seit Jahren in Vietnam ansässig und tragen zur Weiterentwicklung der vietnamesischen Fertigungslandschaft bei.
Indonesien – Der ambitionierte Visionär in der Automatisierungsbranche
Ebenso hat Indonesien in den vergangenen Jahren eine robuste Entwicklung erlebt, die von mehreren entscheidenden Schlüsselentwicklungen geprägt ist:
- Robustes Wirtschaftswachstum: Indonesien weist ein robustes Wirtschaftswachstum auf, welches im Rahmen der COVID-19 Pandemie kurzfristig eingebrochen war, jedoch schon im Jahr 2021 wieder um 3,7 Prozent zunahm.
- Attraktive Kostenstrukturen: Auf Basis unternehmerfreundlicher Kostenstrukturen und stabiler politischer Rahmenbedingungen mit starken Fortschritten im Bereich der Regulierungsqualität bietet der Standort attraktive Konditionen für die Fertigung von Massenprodukten, trotz einer unterdurchschnittlichen Innovationskraft.
- Junge Arbeitskräfte: Indonesiens demographische Struktur zeichnet sich durch eine junge Bevölkerung aus. Der durchschnittliche Arbeitnehmende ist 30 Jahre alt (zum Vergleich: in Deutschland beträgt das Durchschnittsalter der Arbeitnehmenden 44 Jahre).
- Verbesserte gesetzliche Rahmenbedingungen: Durch verringerte staatliche Regulierungen und die Optimierung von bürokratischen Abläufen verbessert sich das Geschäftsumfeld erheblich. Somit kletterte Indonesien im Zeitraum von 2014 bis 2017 im „Ease of Doing Business Index“ der Weltbank 48 Plätze nach oben.
Trotz einiger erzielter Fortschritte bleiben in Indonesien weiterhin Herausforderungen bestehen. Im „Corruption Perception Index“ liegt das Land 23 Plätze hinter Vietnam. Hinsichtlich der Umweltaspekte ergeben sich weitere Herausforderungen: Als einer der zehn größten CO2-Emittenten der Welt leidet Indonesien unter erheblicher Umweltverschmutzung und der anhaltenden Bedrohung der Waldrodung.
Ein attraktiver Standort in Indonesien ist Jakarta, die Hauptstadt des Landes. Sie dient nicht nur als Regierungssitz, sondern auch als ökonomisches Zentrum des Staates. Die Infrastruktur mit einem internationalen Flughafen, diversen nationalen Schnellstraßen, Schienenanbindungen und dem größten Hafen des Landes mit einem jährlichen Durchsatz von über 8 Millionen TEU-Containern, bietet gute Rahmenbedingungen für Knotenpunkte in Wertschöpfungsnetzwerken. Weiterhin sind zunehmend Investitionsaktivitäten durch die Automatisierungsindustrie zu verzeichnen. Ein starkes Engagement der Regierung zur Verbesserung der Finanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen führt zu einem breiten inländischen Zuliefererangebot durch unterstützende Industrien für das produzierende Gewerbe.
Renommierte Automatisierungsunternehmen setzen auf Investitionen in Indonesien
ABB ist bereits seit den 1980er-Jahren in der Region aktiv. Das Unternehmen betreibt mehrere Produktionsstätten sowie ein Forschungs- und Entwicklungszentrum in der indonesischen Hauptstadt. Im Jahr 2018 investierte ABB 30 Millionen US-Dollar in neue Produktionskapazitäten in Jakarta. Diese Einrichtungen spielen eine Schlüsselrolle bei der Herstellung von Hoch- und Mittelspannungsschaltanlagen und treiben gleichzeitig die Technologien für Industrie 4.0, die Energieversorgung, die Elektromobilität und Smart Cities voran. Mit Infineon hat im Jahr 2022 ein weiteres internationales Unternehmen Investitionen (ca. 2,6 Millionen US-Dollar) für die Erweiterung seiner Betriebsstätten getätigt. Bis zum Jahr 2024 ist geplant, die Produktionsfläche durch den Bau neuer Anlagen zu verdoppeln. Omron stellte 2017 Fertigungsstätten im Wert von 15 Millionen US-Dollar fertig, um die Produktionskapazität auf dem indonesischen Markt zu erhöhen und trug somit zum industriellen Wachstum des Landes bei.
Vietnam als vielversprechender Favorit für Automatisierungshersteller
Doch welcher der beiden Standorte ist nun der bessere? Im Vergleich zwischen Vietnam und Indonesien erweist sich Vietnam als attraktiverer Standort für die Automatisierungsindustrie. Mit einer stabilen Infrastruktur und herausragender Innovationskraft schafft Vietnam ideale Rahmenbedingungen für einen zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg.
Es ist Zeit, das strategische Fundament für künftige Wertschöpfungsnetzwerke zu setzen
Politische Krisen, Lieferengpässe sowie eine verschärfte Regulatorik werden das Wirtschaften der kommenden Jahre prägen. Eine Verlagerung und stärkere Diversifikation der Produktionskapazitäten im südostasiatischen Raum versprechen eine Risikominderung und Steigerung der Resilienz der Wertschöpfungsketten. Nun ist es an der Zeit, die Weichen zu stellen, um die Zukunftssicherheit in der Automatisierungsindustrie zu gewährleisten und folgende Fragen zu beantworten:
- Bietet Vietnam für Sie vergleichbare, attraktive Produktionsstandortfaktoren wie es einst China getan hat?
- Kann Vietnam als strategischer Hub dienen, um „Emerging Markets“ in Asien, Afrika und Südamerika zu bedienen?
- Wohin wandern die Produktionskapazitäten der „Werkbank der Welt“ und ergeben sich daraus für Ihr Unternehmen Handlungsbedarfe?
- Werden diese Produktionskapazitäten der Halbleiter- und Elektronikindustrie nach Vietnam folgen oder lockt der Ruf der Arbeiterreserve Indonesiens?
- Welches der beiden Länder, Vietnam oder Indonesien, passt besser zu den Anforderungen und Zielen Ihres Unternehmens?
Diese Überlegungen sind entscheidend für das zukünftige Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit Ihres Unternehmens. Jetzt ist die Zeit, zu handeln, Ihre Strategie klar zu definieren und selbstbewusst in die Zukunft zu gehen.