Nachhaltigkeit & Regulatorik

Im ESG-Standard-Dschungel
den richtigen Fokus setzen
– und nachhaltig profitieren

Regulatorik ist kein Selbstzweck. Sie zielt langfristig auf eine Verhaltensänderung der Marktakteure ab – im Fall von ESG-Vorgaben auf eine Neuausrichtung der Kapitalflüsse hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Regulatorische sowie ökonomische und gesellschaftliche Anforderungen in puncto Nachhaltigkeit verschärfen sich, nicht nur innerhalb der EU. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung wird dadurch schon bald auf einer Stufe mit der Finanzberichterstattung stehen, das ist vom Gesetzgeber auch gewollt. Finanzielle und nichtfinanzielle Daten müssen dazu miteinander verknüpft werden, was ein enormes Potenzial für die Unternehmensentwicklung bietet – wenn eine ganzheitliche Strategie dahinter liegt.

Pflicht-Standards, auf die es wirklich ankommt

Auf europäischer Ebene bildet die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) derzeit das zentrale verpflichtende Rahmenwerk. Große kapitalmarktorientierte Unternehmen müssen erstmalig für das Geschäftsjahr 2024 die darin definierten Anforderungen erfüllen. Auch große nicht-kapitalmarktorientierte Unternehmen sowie kapitalmarktorientierte kleine und mittelständische Unternehmen müssen kurz danach „ran“ und erstmalig für 2025 beziehungsweise 2026 die neuen Anforderungen berücksichtigen. Allein in Deutschland erhöht sich der Anwenderkreis von 500 im ersten „Durchgang“ auf etwa 15.000 Unternehmen. Doch fast zwei von fünf Unternehmen haben sich noch nicht mit der Vorbereitung beschäftigt, wie die aktuelle Horváth-Studie zum Status quo der Nachhaltigkeitstransformation zeigt. Das gleiche Bild zeigt sich europaweit. 

Weiteres relevantes verpflichtendes Regelwerk ist die seit 2021 geltende EU-Taxonomie, ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten, das dem gleichen Anwenderkreis wie bei der CSRD entspricht. Perspektivisch werden die darin enthaltenen Anforderungen der EU-Taxonomie in die CSRD überführt werden. Parallel werden auf internationaler Ebene durch das unabhängige International Sustainability Standards Board (ISSB), ein Ableger der International Financial Reporting Standards Foundation (IFRS), weitere Nachhaltigkeitsstandards unter dem Namen IFRS S1 und IFRS S2 erarbeitet. Der Fokus liegt hier auf klimabezogene Offenlegungen. Inwieweit diese neuen internationalen Standards mit bestehenden verknüpft werden können, ist noch nicht abzusehen. 

Freiwillige Standards verlieren an Bedeutung

Im gleichen Zuge, in dem grenzübergreifende Pflichtstandards an Bedeutung gewinnen (in Europa vor allem die CSRD), verlieren freiwillige Nachhaltigkeitsstandards an Relevanz. Zwei Drittel der Unternehmen planen der Green Controlling Studie 2022 zufolge, neben der CSRD keine freiwilligen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu verwenden. 

Vier Faktoren entscheiden über erfolgreiche Umsetzung

Auf die CSRD sollten europäische Unternehmen also ihren Fokus legen – und sich nicht nur schnellstens um eine reibungslose Einführung kümmern, sondern diese vor allem bestmöglich mit den eigenen Unternehmenszielen in puncto Nachhaltigkeit, Zukunftsfähigkeit und Wachstum verbinden. Dabei sind folgende vier Erfolgsfaktoren entscheidend: 

  1. Projektvorbereitung & Dry Runs 
    In vielen Unternehmen wird der Zeitaufwand zur Einführung neuer regulatorischer Standards unterschätzt. Der erste Anwenderkreis muss bereits für das Geschäftsjahr 2024 die Anforderungen der CSRD umsetzen. Das ist, überspitzt gesagt, quasi übermorgen. Es gilt, im Sinne einer „Betroffenheitsanalyse“ frühzeitig Kapazitäten in involvierten Teams einzuplanen und interdisziplinär Best-Practice-Lösungen zu entwickeln. Das verringert den Abstimmaufwand und die Unsicherheiten bis zur Veröffentlichung. Alle Anforderungen müssen frühzeitig im Detail analysiert werden, um rechtzeitig Datenlücken identifizieren und schließen zu können. Für die Erhebung sollte mindestens ein so genannter Dry Run eingeplant werden, also eine Generalprobe für die Berichtsfähigkeit. 
     
  2. Weiterentwicklung zu einem ganzheitlichen Sustainability Performance Management 
    Bei der reinen Sicherstellung der Berichtsfähigkeit und dem Reporting sollten Unternehmen, die einen nachhaltigen Mehrwert für ihre Entwicklung generieren wollen, nicht stehen bleiben. Im Sinne eines Sustainability Performance Managements gilt es, die Nachhaltigkeitskennzahlen in interne Steuerungs- und Entscheidungsprozesse zu integrieren. Somit können Potenziale für die Weiterentwicklung des gesamten Unternehmens in Richtung Nachhaltigkeit bestmöglich genutzt werden. Beim Thema ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie besteht bei den Unternehmen allerdings noch viel Luft nach oben. Erst 42 Prozent haben laut der für diese Ausgabe erhobenen Studie eine umfassende Roadmap und konkrete Ziele für Nachhaltigkeit in ihrer Organisation erstellt. 
     
  3. Daten(modelle), Systeme und Prozesse für komplexe Anforderungen trainieren 
    Die Anforderungen an Systeme und Prozesse steigen massiv für Nachhaltigkeitsinformationen. Datenlücken, fehlende Nachweise und Systembrüche erschweren ein End-to-End-Reporting und umfassendes Nachhaltigkeitscontrolling. Die externe Prüfpflicht führt zwingend zur Einführung eines internen Kontrollsystems und prüffähiger Prozesse. Datenmodelle müssen daher frühzeitig definiert und manuelle durch professionelle Lösungen ersetzt werden. Jegliche manuelle Schritte sind in der Projektphase zu automatisieren. 
     
  4. Neues (ESG) Target Operating Model end-to-end aufsetzen 
    Der Schlüsselfaktor für die Erfüllung und Umsetzung der neuen regulatorischen Rahmenbedingungen ist der Aufbau eines umfassenden ESG Target Operating Models. Das „ESG TOM“ beinhaltet neue notwendige Komponenten sowie Anpassungen an Aufbau- und Ablauforganisation. Zur langfristigen Verankerung von Nachhaltigkeit im Unternehmen sollten bereits während der Projektphase Gremien- und Entscheidungsstrukturen geschaffen werden. 

Was klingt wie ein enormer Extraaufwand, sind in Wahrheit „Hausaufgaben“, die die Unternehmen ohnehin machen müssen. Die frühzeitige und gezielte Herangehensweise wird sich langfristig auszahlen und einen Wettbewerbsvorteil mit sich bringen. Dann hat die Regulatorik ihr Ziel erreicht: Die Wirtschaft auf Nachhaltigkeit zu trainieren, in ihrem eigenen Interesse. 

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