Interview mit Thomas Kriechbaum, HOERBIGER

„Veränderungen müssen nachhaltig umgesetzt werden“

Der Schweizer Technologiekonzern HOERBIGER harmonisiert und standardisiert seine Geschäftsprozesse weltweit im Rahmen der SAP-S/4HANA-Einführung. Inzwischen ist das umfangreiche Projekt fast zur Hälfte umgesetzt. Im Interview schildert Thomas Kriechbaum, Head of IT and Chief Process Officer bei HOERBIGER, die wesentlichen Erkenntnisse und Erfolgsfaktoren.

WAS WAR DER ANLASS IHRES PROJEKTS UND WIE HABEN SIE ES ORGANISIERT?

KRIECHBAUM Unsere Prozess- und IT-Landschaft war heterogen, wenig standardisiert und damit nicht für ein zukunftsfähiges effizientes Wachstum aufgestellt. Gleichzeitig verursachte sie hohe Wartungskosten. Unsere Aufgabe bestand also darin, sie zu harmonisieren. Das Projekt war das bislang größte bei HOERBIGER und entsprechend hoch in der Organisation angesiedelt. Unter anderem haben wir quartalsweise an die Konzernleitung berichtet. In unserem Steering Committee waren Manager aller beteiligten Divisionen vertreten und sämtliche Teilprojekte wie beispielsweise das Purchase-to-Pay wurden jeweils von Tandems mit Prozess- und IT-Verantwortlichen geleitet. 

WAS WAREN IHRE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN?

KRIECHBAUM Komplex war bereits das Aufsetzen des Programms zu Beginn. Wir haben Mitarbeiter aus der operativen Organisation herausgeholt, die sich in die Projektstruktur einarbeiten konnten. Das Kernteam bestand aus etwa 60 Mitarbeitern, im erweiterten Team waren es sogar 150. Ein so großes Team zu orchestrieren ist anspruchsvoll, ebenso das Bereinigen der Stammdaten bei der Migration. Die größte Herausforderung aber war der Veränderungsprozess an sich. Viele Menschen sind verunsichert, wenn sich Prozesse und Strukturen grundlegend ändern und sie vor ganz neuen Aufgaben stehen. 

WIE GEHEN SIE DAMIT UM?

KRIECHBAUM Entscheidend ist die offene Kommunikation, die früh begonnen hat. Idealerweise sollte man den Mitarbeitern die Veränderungen schon vor dem Go-live des neuen SAP-S/4HANA-Systems zeigen, dann sind sie vorbereitet und tun sich im Umgang damit deutlich leichter. An dieser Stelle haben wir sehr viel investiert, zum Beispiel in verschiedenste End-to-End-Workshops. Wir investieren weiterhin und organisieren Qualifikationstrainings. Außerdem gibt es neben dem Roll-out-Team ein eigenes Team, das auch nach der Einführung vor Ort ist und bei Bedarf die Prozesse anpasst. Grundsätzlich muss man Geduld haben. Veränderungen brauchen Zeit und die Vorteile zeigen sich meist nach etwa sechs bis zwölf Monaten, wenn sich alles langsam eingespielt hat.

IN WELCHEM MASS SIND DIE ERGEBNISSE DES PROJEKTS SPÜRBAR?

KRIECHBAUM Das hängt stark von der Ausgangslage der einzelnen Organisationen ab. Wir haben SAP S/4HANA jetzt in mehreren HOERBIGER-Gesellschaften und Werken eingeführt und spüren die positiven Veränderungen in jenen Bereichen am deutlichsten, die bisher keinerlei oder kein integriertes ERP-System hatten. Bei hoch automatisierten Werken, die SAP seit fast 30 Jahren im Einsatz haben, muss man tiefer gehen, um zu sehen, was sich verbessert hat. Damit die Geschäftsabläufe wie geplant gelebt werden, bleibt die von uns eingeführte globale Prozessorganisation bestehen. Zudem werden die Abläufe kontinuierlich optimiert und weiterentwickelt. Darum kümmert sich ebenfalls ein eigenes Team, das mithilfe von neuen Technologien wie etwa Process Mining Prozessvarianten oder -abweichungen aufspüren soll.

WAS SIND IHRE WICHTIGSTEN ERKENNTNISSE?

KRIECHBAUM Erstens sollte man darauf achten, dass die Standardisierung einen Mehrwert für die Organisation bringt. Zweitens rate ich dringend dazu, möglichst viel am Veränderungsprozess zu arbeiten und dabei das Ohr ganz nah an den Mitarbeitern zu haben. Wenn sich die Menschen ernst genommen fühlen, funktioniert der Change-Prozess viel besser.

WIE FLIESSEN DIE PROJEKTERFAHRUNGEN IN DEN WEITEREN ROLL-OUT EIN?

KRIECHBAUM Wir schauen uns nach jeder Umstellung unsere „Lessons learned“ an und justieren bei Bedarf unsere Methoden und Werkzeuge nach. Nach der Umsetzung in den Pilotwerken haben wir uns Zeit genommen, um das S/4HANA-Template intensiv zu überprüfen. Der ideale Prozess wird schließlich mit dem Greenfield-Ansatz quasi unter Laborbedingungen entwickelt, während das echte Leben meist deutlich facettenreicher ist.

WELCHE SCHRITTE WERDEN NUN FOLGEN?

KRIECHBAUM Nebst weiteren Roll-outs gilt es nun, die Prozessorganisation weiter zu etablieren und kontinuierlich zu verbessern. Unsere harmonisierte und standardisierte Prozesslandschaft bildet in Kombination mit „sauberen“ Stammdaten die Grundlage für die Digitalisierung oder Industrie 4.0. Hier arbeiten wir unter anderem an neuen Technologien wie Robotic Process Automation. Dafür hat unser S/4HANA-Projekt die Voraussetzung geschaffen, denn in einer heterogenen Prozess- und Systemlandschaft steigt der beste Roboter aus!

Weitere Artikel

Erweiterung des Geschäfts- und Betriebsmodells bei Sparda-Banken

Speed up time-to-market: Im Start-up-Modus neue Ertragsquellen erschließen

Zum Artikel