Logistikkosten liegen auf Rekordhöhe. Sprit und Strom, Lohn- und Betriebskosten – alles wird teurer. Dabei ist es gerade der Bereich Transport und Verkehr, der in nachhaltige Lösungen investieren und Emissionen reduzieren muss – und eine zentrale Rolle dabei spielt, gesetzte Klimaziele zu erreichen. Dr. Martina Niemann, CFO bei DB Cargo, berichtet über dieses Spannungsfeld und die aussichtsreichsten Potenziale in der Schienengüterlogistik sowie im gesamten Transport- und Verkehrsbereich.
Frau Dr. Niemann, wie kann man sich als Logistikkonzern noch genug Spielraum verschaffen, um ausreichend in Nachhaltigkeit zu investieren, wenn die Produktionskosten in nahezu allen Bereichen steigen?
NIEMANN Spielräume gibt es im Wesentlichen in zwei Bereichen. Erstens, bei der Zahlungsbereitschaft der Konsumenten. Auch wenn wir im B2B-Segment tätig sind, müssen wir bei den Erwartungen der Endverbraucher ansetzen, Bewusstsein wecken und Angebote schärfen. Studien und Testprojekte zeigen, dass Endkunden durchaus bereit sind, für vollständig nachhaltig transportierte Waren einige Cent mehr zu zahlen. Diese Bereitschaft gilt es auszuloten, und prominente, niedigschwellige, klar auf Nachhaltigkeit getrimmte Optionen anzubieten.
Der zweite Handlungsspielraum liegt in der eigenen Wertschöpfungskette, den Prozessen. Neben der Reduzierung von Verpackung und der Etablierung einer Kreislaufwirtschaft ist hier vor allem die Etablierung einer Shared Economy zu nennen. Gerade standardisierte Transportbehältnisse wie Container, Lkw oder Loks sollten künftig Shared Assets in einem Pool an kooperierenden Unternehmen sein. So können Leerfahrten vermieden werden. Um diesen Trend zu fördern, der aufgrund der starken Konkurrenz in anderen Transportbereichen schwierig durchzusetzen ist, erachte ich auch höhere Mautpreise für Leerfahrten als sinnvoll.
Diskutieren Sie Nachhaltigkeitskomponenten in Ihren Preisen mit Ihren Kunden – und falls ja: Wie ist die Reaktion darauf?
NIEMANN Genau das tun wir. Wir bieten gezielt komplett klimaneutrale Beförderungen an und haben dafür viele interessierte Kunden. Für die werden nachhaltige Transportketten immer wichtiger. Wir gehen auch davon aus, dass nachhaltige Lösungen in Zukunft nicht mehr wesentlich oder gar nicht mehr teurer sein werden als Transporte unter Einsatz fossiler Energien, da diese zunehmend sanktioniert werden.
Wo liegen im Schienengüterverkehr die Investitionsschwerpunkt mit Fokus auf Nachhaltigkeit und mit welchen Innovationen ist in den kommenden Jahren zu rechnen?
NIEMANN Auch hier haben wir zwei Hauptfelder. Im ersten geht es um alternative Kraftstoffe. Seit Mitte 2022 ist HVO (Hydrotreated Vegetable Oil) für die gesamte Diesellokflotte der DB Cargo Deutschland freigegeben. Das ist ein Treibstoff, der im Gegensatz zu Diesel nachhaltig produziert wird – aus pflanzlichen Abfällen, die nicht in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln stehen. Bei Neuanschaffungen setzen wir auf Dual-Mode-Lokomotiven, die sowohl mit HVO als auch batterieelektrisch betrieben werden können, perspektivisch auch mit Wasserstoff, wenn dieser ausreichend zur Verfügung steht.
Der zweite Hebel ist die Stromzusammensetzung. Schon jetzt versorgt die Schwestergesellschaft im DB Konzern, die DB Energie GmbH, die Gesellschaften des DB Konzerns mit 65 Prozent Bahnstrom aus nachhaltigen Quellen. Bis 2030 soll dieser Anteil auf 80 Prozent gesteigert werden, 2038 auf 100 Prozent. Diese nachhaltige Energie wird nicht nur für den Antrieb der Loks benötigt, sondern auch für Betrieb und Instandhaltung unserer Infrastruktur. Um den Verbrauch zu senken, setzen wir auch hier auf Kreislaufwirtschaft.
Welches sind die größten Hebel als Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit in Ihrer Branche?
NIEMANN Es ist der Hebel, der schon immer unser systemischer Vorteil war und erst jetzt so richtig zur Geltung kommt: die Energieeffizienz. Der Transport auf der Schiene ist besonders effizient, da der Rollwiderstand im Vergleich zum Straßenverkehr deutlich geringer ist. Unsere Achillesferse ist das Bremsen. Dafür wird vergleichsweise viel Energie benötigt, die aber zu einem großen Teil zurückgewonnen werden kann. Generell setzen wir auf intelligenten Verbrauch, den wir über ausgeklügelte Messungen steuern, zum Beispiel auch in puncto Beladung. Außerdem trainieren wir die Beschäftigten auf energieeffizientes Fahren, dafür besteht auch große Akzeptanz.
Ein weiterer bereits genannter Hebel ist die Etablierung einer Shared Economy zur Eindämmung von Leerfahrten, die im Lkw-Bereich bis zu 50 Prozent ausmachen. Da ist die alles entscheidende Frage, wer diese „in Fahrt“ bringt, um mal im Bild zu bleiben. Denkbar ist neben der Regulatorik, dass das über Anforderungen von Großkunden passiert. Diese können in ihren Verträgen einfach vorgeben, dass ihre Dienstleister Einsparungen und Effizienzvorteile über quasi erzwungene Kollaboration erzielen sollen.
Denkt man regulatorisch, könnten beispielsweise Trassenkosten für Leerfahrten erhoben werden. Über Sensoren an den Schienen können Leerfahrten ermittelt und per IT übertragen werden. Generell plädiere ich dafür, Mautgebühren im Fall von Leerfahrten um 100 Prozent anzuheben. Wenn Leerfahrten 20 Prozent oder mehr einnehmen, was aktuell in manchen Bereichen der Fall ist, dann ist das nicht hinzunehmen.
Wie gehen Sie bei DB Cargo vor, wenn Sie Ihre Nachhaltigkeitsstrategie ausarbeiten beziehungsweise weiterentwickeln? Welche Bereiche und Teams sind involviert? Welche Herausforderungen bestehen dabei?
NIEMANN Wir haben eine Nachhaltigkeitsorganisation, die auf Konzernebene verankert ist. Sie setzt die für den DB Gesamtkonzern entwickelte Nachhaltigkeitsstrategie um, indem sie einen Zielpfad ausarbeitet, Maßnahmen clustert, Umsetzung und Fortschritt mitverfolgt und dem Aufsichtsrat reportet. Wir haben konkrete Ziele für das nächste Geschäftsjahr, für 5 Jahre, für 10 Jahre und bis zur Klimaneutralität in 2040 – was nur noch 17 Jahre hin ist. In unseren Investitionszyklen ist das nicht viel Zeit. Wir agieren aus unserem Geschäftsfeld heraus schon immer strategisch sehr langfristig. Gleichzeitig sind unsere unmittelbaren Maßnahmen vielfältig und effektiv. Neben dem Bezug nachhaltiger Energie – die DB Energie ist einer der größten Windkraftabnehmer in Deutschland – gehört dazu beispielsweise auch, dass wir im Winter 2022 die oberen zwei Etagen unserer Mainzer Zentrale stillgelegt haben und das Vorstandsteam Office-Sharing betreibt, um Energie zu sparen. Sparen, Sharen und Wiederverwenden ist nicht nur die Devise für unsere Zugbildungsanlagen und Instandhaltung, sondern für den gesamten Konzern. Die Nachhaltigkeitstransformation ist wie ein Dialog zwischen Gesamtkonzern und dem Schienengüterbereich. Laufend wird geprüft, wie die Bilanz weiter verbessert werden kann, etwa durch den Austausch von Heizungsanlagen in Gebäuden durch Geothermie.
Welche Rolle spielen (internationale) Nachhaltigkeitsstandards in Bezug auf Ihre Nachhaltigkeitsziele und -strategie?
NIEMANN Alle für uns geltenden Standards setzen wir als verbindliche Berichtsstandards um und beziehen alle Dimensionen mit ein. Dazu gehören die EU-Taxonomie, die CSRD sowie die UN Sustainable Development Goals (SDGs). Neben Klimaschutz spielen also beispielsweise auch Lärmschutz und Biodiversität eine wichtige Rolle, neben ökologischen Kriterien arbeiten wir mit Priorität an sozialen Belangen und Governance-Themen. Man muss aber schon sagen: Die Vielfalt der Standards ist diffus, da sollte eine Harmonisierung stattfinden. Der eine Meta-Standard wäre optimal, leider gibt es ihn (noch) nicht.
Von welchen (politischen) Rahmenbedingungen hängt es Ihrer Ansicht nach am stärksten ab, ob die Emissionen in Deutschland und Europa spürbar gesenkt werden können (gesamtwirtschaftlich gesehen bzw. über alle Industrien)?
NIEMANN Grundsätzlich ist das allgemeine Klimaschutzgesetz in Deutschland aus meiner Sicht der richtige Weg. In Bezug auf Schienengüter hatte ich ja bereits eine mögliche Verteuerung von Leerfahrten angesprochen. Auch Vorgaben zum Einsatz nachhaltiger Kraftstoffe in Deutschland würden wir uns sicher nicht verschließen. Für den Luftverkehr, der global für einen großen Teil der Verkehrsemissionen verantwortlich ist, sollte der Einsatz von Sustainable Aviation Fuels zum schnellstmöglich umsetzbaren Zeitpunkt verbindlich werden. Für den Verkehrssektor sehe ich drei unverzichtbare politische Maßnahmen: die Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen, eine CO2-orientierte Maut, die auch kleinere gewerbliche Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen einbezieht, sowie den Ausbau der Ladeinfrastruktur zur erfolgreichen Elektrifizierung der Mobilität. Die Mauteinnahmen sollten in nachhaltige Verkehrsträger investiert werden, vor allem die Bahn, um hier den Investitionsstau aufzulösen. Eine „starke Schiene“, wie auch unser Transformationsprogramm lautet, kann maßgeblich dazu beitragen, die Klimaziele zu erreichen.
Über Dr. Martina Niemann:
Dr. Martina Niemann ist als CFO bei der DB Cargo AG mit rund 30.000 Beschäftigten für Finanzen, Controlling und Angebotsmanagement zuständig. Ihre Logistikkarriere begann Niemann 1995 bei der Deutschen Bahn. Von 2012 bis 2020 war die pomovierte Managerin als HR-Verantwortliche für führende Luftfahrtunternehmen tätig.