Wasserstoff spielt eine wichtige Rolle für den Erfolg der Energiewende. Doch welche Maßnahmen sind für den schnellen Hochlauf einer grünen Wasserstoffwirtschaft entscheidend? Wie steht es um die Preisentwicklung sowie um technologische Innovationen? Und wie kann sich die produzierende Industrie die Versorgung mit Wasserstoff sichern? Antworten auf diese und weitere Fragen gibt es in unserem Interview mit Dr. Sopna Sury, COO Hydrogen bei RWE Generation.
Frau Sury, inwiefern war bzw. ist die Energiekrise ein „Accelerator“ für die grüne Transformation?
SURY Die Krise hat gezeigt: Ein Land wie Deutschland kann sich schnell umstellen, wenn das Ziel klar ist und der Rahmen stimmt. Weil die Bundesrepublik schnellstmöglich unabhängig von russischem Gas werden musste, wurden Infrastrukturprojekte in Rekordzeit umgesetzt. Wenn wir die Umstellung der Industrie auf grüne Energieträger mit der gleichen Entschlossenheit angehen, bin ich für die weitere Energiewende zuversichtlich. Denn was gut für grüne Versorgungssicherheit ist, ist auch gut für den Klimaschutz: Mit Investitionen in erneuerbare Energien und Wasserstoff machen wir uns unabhängiger von Importen und schützen das Klima. Technologisch haben deutsche Unternehmen beim Wasserstoff die Nase mit vorn. Damit die ersten großen Projekte hier entstehen, brauchen wir schnelle Förderzusagen und einen Ordnungsrahmen, der entfesselt, statt zu bremsen.
Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht erfolgsentscheidend, beispielsweise in Bezug auf Genehmigungsverfahren, Investitionen, strategische Partnerschaften?
SURY Genehmigungsverfahren müssen schneller werden. Bei Abwägungsentscheidungen zwischen verschiedenen Schutzgütern sollten Wasserstoffprojekte – so wie erneuerbare Energien – in Genehmigungsverfahren Vorrang erhalten, weil sie im öffentlichen Interesse stehen. Zudem brauchen Förderinstrumente einfache Antragsverfahren und schnelle Förderbescheide, sonst kommen Zeitpläne ins Rutschen. In Bezug auf Partnerschaften tut sich bereits eine Menge: So wie sich etwa bei „GET H2“ Grünstromerzeuger, Elektrolyse- und Speicherbetreiber, Leitungsnetzbetreiber und potenzielle Abnehmer zusammengefunden haben, koordinieren Unternehmen ihre Rollen auch im Rahmen der Infrastrukturinitiative „H2ercules“. Der Wasserstoffhochlauf lebt von der Zusammenarbeit über Wertschöpfungsstufen hinweg.
Wie wichtig sind Förderungen bzw. Subventionen?
SURY Für den Start ins Wasserstoffzeitalter braucht es Anreize und eine angemessene CAPEX-Förderung. Denn die Anlagen werden angeschafft, lange bevor Massenfertigung die Herstellungskosten spürbar senkt. Auch industrielle Anwender sind auf Förderinstrumente angewiesen. Für sie gilt es, die durch Wasserstoffeinsatz bedingten Mehrkosten der CO2-Vermeidung gegenüber konventionellen Verfahren auszugleichen.
Welche Preisentwicklung bei Wasserstoff ist für die nächsten fünf Jahre realistisch? Wie sieht es speziell bei grünem Wasserstoff aus?
SURY Durch die CO2-Bepreisung wird grauer Wasserstoff rasch teurer und verliert seinen Vorsprung gegenüber den saubereren Varianten. 5 Euro pro Kilogramm grünen Wasserstoffs gelten in aktuellen Studien als eine realistische Annahme für 2030. Beim Preis für Elektrolyseure ist mit deutlichen Skaleneffekten zu rechnen. Grüner Wasserstoff ist preislich an grünen Strom gekoppelt – und der wird mit dem Ausbau der Erneuerbaren billiger. Projekte anderer Marktteilnehmer, die 2025 starten sollen, gehen von einem Preis von 3 Euro pro Kilo blauem Wasserstoff aus. Das deutet darauf hin, dass grüner gegenüber blauem Wasserstoff schnell an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen wird.
Was ist die RWE-Strategie für Gewinnung und Vertrieb von Wasserstoff? Wie läuft das zusammen mit der allgemeinen Strategie im Bereich Erneuerbare?
SURY RWE fährt bei Wasserstoff zweigleisig: Wir bauen Elektrolyseure überall dort auf, wo Förderung und Regulierung passen und wir frühzeitig ein hohes Absatzpotenzial sehen. Also zum Beispiel in Nordwesteuropa und zunehmend auch in den USA, wo wir bei den Erneuerbaren eine wichtige Rolle spielen. Und weil Deutschland dauerhaft auf Einfuhren von Wasserstoff und seinen Derivaten angewiesen sein wird, entwickeln wir Importpartnerschaften mit Erzeugern in sonnen- und windreichen Ländern. Unseren Fokus legen wir dabei auf grüne Moleküle. Weil Deutschland schnell große Mengen benötigt, werden wir auch blaue Moleküle importieren. Zudem rechnen wir mit einer steigenden Zahl hybrider Tender, bei denen beispielsweise Offshore-Windparks und Wasserstofferzeugung „im Paket“ ausgeschrieben werden. Bei solchen Ausschreibungen wollen wir unsere Stärken gezielt einbringen.
Mit welchen technologischen Innovationen ist in den nächsten Jahren zu rechnen? Wie wirken diese voraussichtlich auf den Markt ein?
SURY Die Technologien für die Wasserstoffwirtschaft stehen bereit. Der Wirkungsgrad von PEM- und Druck-Alkali-Elektrolyse für die Erzeugung von Wasserstoff lässt sich noch um einige Prozentpunkte verbessern. Die Hochtemperatur-Elektrolyse hat noch mehr Verbesserungspotenzial. Den größten Einfluss wird jedoch die Skalierung dieser Technologien bis in den Gigawatt-Bereich haben. Sobald Stacks in großen Stückzahlen gefertigt werden, werden die Preise für Elektrolyseure so rasant sinken, wie wir das in den letzten zehn Jahren bei Windkraft und PV erlebt haben.
Was empfehlen sie der Industrie, welche Strategien in Bezug auf Wasserstoff sind für produzierende Unternehmen sinnvoll, um die Versorgung mit Wasserstoff rechtzeitig zu sichern?
SURY Wenn die CO2-Emissionen auf null sinken sollen, ist grüner Wasserstoff überall dort alternativlos, wo Prozesse nicht elektrifiziert werden können. Die Umstellung muss noch in dieser Dekade eingeleitet werden. Durch die Reform des EU-Emissionshandels steigt der CO2-Preis schneller als erwartet. Dadurch und durch die steigenden Anforderungen an die Emissionsreduktion in vorgelagerten Wertschöpfungsketten (SCOPE 3) entstehen zum Beispiel für Automobilhersteller Anreize, klimaneutral produzierende Zulieferer auszuwählen. Wer hier frühzeitig dabei ist, sichert sich attraktive Zusatzerlöse. Mit dem Delegierten Rechtsakt zur RED II klärt die EU, welcher Strom für grünen Wasserstoff eingesetzt werden darf. Es ist absehbar, dass grüner Wasserstoff schnell knapp werden wird, weil die entsprechenden Erneuerbaren-Anlagen nicht schnell genug gebaut werden. Da Importe auf sich warten lassen, ist die heimische Wasserstofferzeugung für die Industrie vorerst die beste Option. Energieintensive Unternehmen sollten sich daher frühzeitig um heimische Wasserstofflieferanten kümmern.
Über Dr. Sopna Sury:
Dr. Sopna Sury leitet seit Februar 2021 als COO Hydrogen das Vorstandsressort für Wasserstoff bei der RWE Generation SE. In dieser Funktion ist sie konzernweit für die Ausgestaltung und Umsetzung der Wasserstoffstrategie von RWE und die Weiterentwicklung der Wasserstoffprojekte in den Kernmärkten des Unternehmens verantwortlich.
Die gelernte Wirtschaftswissenschaftlerin hat ihre berufliche Karriere bei McKinsey gestartet. Seit 2011 war sie bei E.ON in verschiedenen Funktionen unter anderem für die Strategie der erneuerbaren Energien zuständig. Nach ihrer Zeit bei Uniper, wo sie für den Vertrieb technischer Dienstleistungen und das Beteiligungsmanagement von Gas-Infrastruktur verantwortlich war, wechselte sie zu RWE Renewables, wo sie zuletzt den Bereich Strategie und Regulierung leitete.